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"Ein Jahr lang war Dunkelheit"

LGheute im Gespräch mit Ulrich Mädge über das Fernwärme-Desaster in Lüneburg und seinen Auftritt im Rat der Stadt

Ulrich Mädge ist nicht mit allem im Lüneburger Rathaus einverstanden. Foto: LGheuteLüneburg, 12.02.2024 - Es ist guter Brauch, nach dem Ausscheiden aus einem Amt das Tagesgeschäft dem Nachfolger zu überlassen. Dass Lüneburgs Alt-Oberbürgermeister Ulrich Mädge davon nun abwich und in der jüngsten Ratssitzung die Stadtverwaltung zum Teil hart anging, überraschte daher nicht wenige. Anlass war der anhaltende Ärger vieler Fernwärmekunden über die zum Teil drastisch gestiegenen Heizkostenabrechnungen. Im Gespräch mit LGheute erläutert Mädge, warum er dennoch in die Ratssitzung gekommen war. 

 

Herr Mädge, bei der Ratssitzung am Donnerstag hatten auch Sie sich zu Wort gemeldet, ungewöhnlich für einen früheren Oberbürgermeister der Stadt. Warum haben Sie sich trotzdem in die Tagespolitik eingemischt?

Weil ich mehrfach betroffen bin: Einmal als Bürger in Kaltenmoor und Abnehmer von Fernwärme und damit auch Betroffener von Preiserhöhungen und Nachforderungen, zum anderen als Mitglied der seit 1982 bestehenden Bürgerinitiative Fernwärme in Kaltenmoor. Und weil die Menschen in Kaltenmoor mich kennen und mich im Bus und auf der Straße ansprechen und fragen: Was ist da los? Du hast uns doch immer gesagt, die Fernwärme ist sicher, wir haben doch eine Vereinbarung mit der Stadt und der Avacon. Aus diesen drei Gründen habe ich die Ratssitzung aufgesucht, um dort meine Fragen zu stellen, die mir Herr Moßmann seit Mai letzten Jahres, als ich ihn dazu angeschrieben habe, nicht beantwortet.


Sie haben in der Sitzung aber nicht nur Fragen gestellt, Sie haben Ihren früheren Mitarbeiter Markus Moßmann auch ins Visier genommen. Warum?

Die Abrechnung für Direkt-Abnehmer der Avacon-Fernwärme wie mich – unser Anteil am Fernwärme-Aufkommen beträgt etwa 40 Prozent – kam im Februar letzten Jahres. Da war die hohe Preissteigerung vor allem vom letzten Quartal 2022 schon zu erkennen, auf die dann die hohen Nachzahlungsforderungen beziehungsweise Abschlagszahlungen folgten. Beim Blick in meinen Avacon-Vertrag fiel mir dann auch die Vereinbarung vom November 2013 wieder in die Hand, wonach bei Streitigkeiten zwischen Lieferanten, Vermietern und Mietern die Stadt unter Einschaltung eines unabhängigen Gutachters zu schlichten hat.
Daraufhin habe ich mich an die zuständige Avacon Natur gewandt, die sich mit einer Schlichtung einverstanden erklärte, sofern auch die Stadt dazu bereit sei. Weil aber nichts passierte, habe ich Herrn Moßmann am 7. Mai mit Verweis auf die Vereinbarung angeschrieben und dabei auch auf das drohende und nun ja auch eingetretene Szenario aus den hohen Forderungen für Fernwärme-Kunden hingewiesen. Aber erst in der Ratssitzung vor wenigen Tagen habe ich eine Antwort bekommen – neun Monate nach meiner Anfrage. Da habe ich auch erfahren, dass Herr Moßmann es nicht für notwendig erachtet hat, bereits im Mai schon einen Schlichter einzuschalten und er sich stattdessen auf Avacon verlässt. Das ärgert mich sehr, denn es ist keine ordnungsgemäße Abarbeitung von Bürgerfragen, wenn man neun Monate braucht, um sie nicht zu beantworten.


Herr Moßmann sagte, er wolle jetzt "Licht ins Dunkel bringen" und einen Sachverständigen einschalten. Auch soll es erst im März eine Info-Veranstaltung für die Quartierbewohner geben. Was spricht dagegen?

Da spricht nichts dagegen, es ist alles nur ein Jahr zu spät. Die Bürgerversammlung – auch darauf habe ich in meinem Schreiben vom Mai hingewiesen – hätte gleich stattfinden müssen, um die Betroffenen mitzunehmen und sich auf die Nachforderungen von Vonovia vorzubereiten – Vonovia gehören etwa ein Drittel der Wohnungen –, die dann m Herbst ja auch kamen, das wusste man ja. Die Fernwärme-Kunden, die keine Direkt-Abnehmer sind, hat das aber völlig unvorbereitet getroffen. 
Dagegen aber spricht, dass Herr Moßmann trotz der bestehenden Vereinbarung keinen Gutachter eingeschaltet hat, obwohl er die Vereinbarung als Vertreter der Stadt selbst unterschrieben hat. Und darin steht: ein Gutachter ist einzuschalten. Herr Moßmann aber hat für sich, gemeinsam mit der Avacon, entschieden, diesen Weg nicht zu gehen. Und es ist nicht in Ordnung, nach einem Jahr dann zu sagen, ich bringe jetzt Licht ins Dunkel. Ein Jahr war da aber Dunkelheit. Und der dadurch jetzt für alle Fernwärme-Abnehmer entstandene Schaden ist immens. Das gilt übrigens auch für die Vermieter, denn wer mietet jetzt noch eine Fernwärme-beheizte Wohnung? 


Nun soll laut Herrn Moßmann das Landeskartellamt die Preisklauseln von Avacon ja untersucht haben und zu dem Ergebnis gekommen sein, dass alles rechtmäßig sei. Also nur ein Problem von Vonovia?

Nein. Die Abrechnungen bei Acavon sind zuletzt 2016 überprüft worden, und zwar vom Landeskartellamt. Neuere Abrechnungen werden inzwischen aber vom Bundeskartellamt überprüft. Die Überprüfung aus 2016 zählt heute gar nicht mehr, das weiß auch Avacon Natur. 


Zum Geschäftsführer der Avacon Wasser GmbH, Thomas Meyer, der auf Wunsch der Verwaltung in der Ratssitzung Stellung nahm, sagten Sie, er sei der Falsche, der zu dem Thema befragt wurde. Warum? 

Es gibt eine eigenständige Gesellschaft, Avacon Natur, mit drei Geschäftsführern, die für die Fernwärme zuständig ist. Herr Meyer ist für Wasser zuständig. Deshalb hätte der für Fernwärme zuständige Geschäftsführer in der Ratssitzung antworten müssen, zumal dieser auch die ganze Zeit die Verhandlungen mit der Stadt geführt hat. Herr Meyer war offenkundig nicht im Stoff und konnte nicht die Details nennen, die man in der Sitzung hören wollte.


Herr Meyer sagt, dass Avacon am Ende der Informationskette stehe und man das Thema deshalb auch erst im November aufgreifen konnte, obwohl es ja schon vor einem Jahr bekannt wurde. Wie kann das sein?

Das weiß ich nicht. Ich jedenfalls habe meine 2022er-Abrechnung im Februar 2023 von Avacon Natur bekommen, so wie rund 2.000 weitere Kunden in Kaltenmoor auch. Da kamen die ersten Diskussionen ja auch gleich auf, unter anderem bei den Bürgervertretern und bei der AWO Mieterberatung. Avacon Natur hat die Abrechnungen selbst verschickt, das Unternehmen müsste also wissen, was sie berechnet haben. Herr Meyer war da vielleicht nicht einbezogen, das will ich ihm zugute halten.


Eine grundsätzliche Frage: Ist die Stadt eigentlich dauerhaft an Avacon gebunden oder gibt es auch Alternativen?

Nein. Die Wärmeversorgung ist noch eine der letzten Monopole. Im Bundestag müsste dazu auch endlich eine Regelung getroffen werden, zum einen für mehr Transparenz bei der Preisgestaltung, aber auch, wie das Monopol gebrochen werden kann. Das ist bei Wärme allerdings nicht so einfach wie bei der Stromversorgung, wo man seinen Anbieter frei wählen kann. Gegenwärtig jedenfalls ist man an Avacon gebunden, zumal es auch einen Konzessionsvertrag gibt, der besagt, dass Avacon das Wärmenetz in Lüneburg mit den vier Heizwerken betreibt. 


Welche Möglichkeiten hat denn die Stadt, Vonovia, die sich bislang Gesprächen ja offenbar noch entzieht, zu mehr Aufklärung in der Sache zu bewegen?

Es gibt, wenn man so will, eine Art Werkzeugkiste, aber mit einer begrenzten Anzahl von Werkzeugen aus dem Baugesetzbuch für den Bereich Soziale Stadt. Hier kann der Zustand der technischen Anlagen für die Abnahme der Fernwärme in den Gebäuden überprüft werden. Vonovia wird sich dagegen vielleicht stemmen wollen, aber mit juristischem Beistand kommt man da durchaus weiter. Andere Städte haben das bereits vorgemacht. Auch sollte der Ankauf dieser Wohnungen durch die Stadt, auch wenn die Wohnungen teilweise in schlechtem Zustand sind, weiter betrieben werden. Denn eines ist klar: Die nächsten Heizkostenabrechnungen, dann aber ohne Preisdeckel, werden kommen. Wie aber sehen die Lösungen für 2025, 2026 und 2027 aus?


Dann wird es nochmal spannend?

Auf jeden Fall. Denn wir wissen aus der Sanierung der Wilhelm-Leuschner-Straße, dass die Anlagen noch aus den 1970er-Jahren stammen. Aber: Avacon hat nach der Übernahme des Heizwerks in den 2000er-Jahren das Leitungsnetz bis an die Häuser erneuert. Ebenso das Heizwerk, auch wenn es inzwischen wohl nicht mehr ganz dem Stand der Technik entspricht. Die Technik in den Gebäuden aber ist Sache von Vonovia. Und hier muss mit einem Gutachten deren Qualität geprüft werden, auch, um mögliche Wärmeverluste in den Wohnungen festzustellen.


Könnte die Stadt auch in Sachen Bausubstanz, die ja auch bemängelt wird und zum Teil auch Auswirkungen auf die Heizkosten hat, Vonovia stärker in die Pflicht nehmen?

Das sollte man angehen, zumal die Stadt ja die Absicht hat, Vonovia-Wohnungen zu kaufen. Privat kaufe ich ja auch kein Haus, wenn ich es nicht zuvor begutachten ließ. Wenn die Stadt also in Verhandlungen ist, wie zu lesen ist, dann wäre der erste Schritt, ein Zustandsgutachten erstellen zu lassen und anschließend ein Sanierungsgutachten. So sind wir zu meiner Zeit als Oberbürgermeister auch mit dem Unternehmen Eckpfeiler bei der Übernahme von Wohnungen in der Wilhelm-Leuschner-Straße vorgegangen. Auf den Erkenntnissen aus den Gutachten kann man dann aufbauen. Nur müsste die Stadt das jetzt auch angehen und nicht beim ersten Widerstand gleich aufgeben. Denn: Vonovia kann nicht ohne Zustimmung der Stadt verkaufen, das ist in der Sanierungssatzung so festgelegt.


Mit Blick auf die vielen Betroffenen, die jetzt diese hohen Heizkostenabrechnungen bekommen haben: Was sollte aus Ihrer Sicht als Nächstes geschehen?

Als Erstes müssen die Avacon-Abrechnungen geprüft werden. Aber dafür braucht es einen unabhängigen Gutachter. Danach muss Vonovia darlegen, wie das Unternehmen mit den Abrechnungen weiter umgegangen ist. Sollte Vonovia sich sperren, müssen die Mieter mit juristischer Unterstützung der Stadt durch Kostenübernahme Rechtsberatung bekommen, Mieterbund und die AWO Mieterberatung können das nicht allein leisten. Schließlich könnte von einem der Mieter mit Unterstützung der Stadt ein Musterprozess geführt werden. Das hätte die Stadt aber bereits vor einem Jahr angehen müssen. Jetzt überschlägt sich alles, die Mieter sind total verunsichert, auch, weil das Job-Center bereits mitteilte, die überhöhten Abrechnungen künftig nicht mehr in vollem Umfang bei Bürgergeld-Empfängern zu tragen. 


Welche Hilfestellung kann das Bürgerforum Kaltenmoor denn geben?

Auf jeden Fall sollte es mit in künftige Gespräche einbezogen werden, so wie wir es früher ja auch gemacht haben, etwa bei dem Wechsel der Betreiber. Da waren wir mit am Tisch, Herr Moßmann übrigens auch, und haben unseren kritischen Sachverstand eingebracht. Dadurch sind wir ja auch erst zu der Vereinbarung von 2013 gekommen. Als Bürgerforum haben wir den Eigentümern damals übrigens empfohlen, den Wärmeliefervertrag zu unterschreiben, was dann ja auch erfolgte. Deshalb ist es ja so wichtig, die Gespräche mit allen Beteiligten endlich zu führen. Es sind jetzt neue Leute im Rathaus, der Einzige, der das noch weiß, ist Herr Moßmann. Und deshalb verstehe ich sein Agieren nicht.


Ein thematischer Schwenk an dieser Stelle: Sie möchten als ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt nicht mit einem Porträt-Gemälde, sondern mit Foto von Ihnen in der sogenannten "Ahnengalerie" im Rathaus verewigt werden. Warum?

Ich reiß' mich nicht um ein Bild, aber es ist Tradition. Gemälde sind immer Geschmackssache, ich habe mich deshalb umgeschaut und festgestellt, dass in Braunschweig und Lübeck Fotografien statt Gemälde hängen, wofür ich mich vor einem Jahr dann auch entschieden habe. Daraufhin hat die Stadt Kontakt zu der Fotografin aufgenommen, nur dann hörte man im November, der Verwaltungsausschuss soll darüber nun entscheiden, unter anderem über das Format des Fotos. Soll es so groß wie in Lübeck mit rund zwei Metern oder so klein wie die, die auch in Lüneburg bereits hängen. Danach richtet sich ja auch der Preis. Die Fotografin nannte auch einen Preis, allerdings den für das Großformat in Lübeck sowie für die Rahmung und anderes. 


Also müssen es nicht die 10.000 Euro sein, die jetzt im Raum stehen? Das ist ja eine Menge Geld, da schütteln viele verständnislos den Kopf.

Auch wenn es vielleicht 5.000 Euro werden, es ist eine Menge Geld. Ich war 30 Jahre Oberbürgermeister, und jeder weiß, ich habe das Geld der Steuerzahler nicht rausgeworfen. Aber künstlerische Arbeit muss angemessen bezahlt werden. Mir ist nur wichtig: Ich möchte Qualität haben. Und: Ich spreche den Lüneburger Fotografen nicht die Qualität ab, aber ich weiß, wenn ich mich für einen von ihnen entscheide, sind die anderen verstimmt. Deshalb dieser Weg. Und jetzt muss man mal abwarten. Ich kann aber auch ohne Foto leben.


Ein weiteres Thema: Sie stehen auch auf der Kandidatenliste für den Seniorenbeirat. Werden Sie, sollten Sie hineingewählt werden, auch den Vorsitz übernehmen? 

Das muss man dann entscheiden. Ich würde es gut finden, wenn nach Manfred Stark nun eine Frau den Vorsitz übernimmt. Ich selbst brauche solche Ämter nicht, aber ich würde mich in der Sache gern weiter einbringen, so wie bei der Wärme auch. Ich weiß aber auch, dass es im Rathaus nicht so gern gesehen würde. Aber erstmal warten wir die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger ab.