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Frostige Atmosphäre beim Thema Fernwärme

Stadtverwaltung gibt bei explodierenden Heizkostenabrechnungen kein gutes Bild ab – Deutliche Kritik In ungewohnter Pose: Alt-Oberbürgermeister Ulrich Mädge am Bürger-Mikrofon in der Stadtrats-Sitzung. Foto: LGheutevon Alt-OB Mädge

Lüneburg, 02.02.2024 - Ratlos, hilflos und heillos zerstritten – so präsentierte sich gestern der Rat der Stadt bei einem Thema, das derzeit vor allem Mietern in Kaltenmoor und am Weißen Turm schlaflose Nächte bereitet. Es geht um drastisch gestiegene Heizkostenabrechnungen, von denen vor allem diejenigen betroffen sind, die am Fernwärmenetz der Avacon hängen. Vor allem SPD-Ratsmitglieder hakten bei einer erkennbar schlecht aufgestellten Stadtverwaltung nach. Mit von der Partie war auch Alt-Oberbürgermeister Ulrich Mädge. Er nutzte die Bürger-Fragerunde, um der Stadtverwaltung die Leviten zu lesen.

Mal 2.800 Euro, mal 3.100 Euro, viele Mieter in den Wohn-Quartieren Kaltenmoor und Am Weißen Turm müssen sich angesichts der drastischen Heizkostenabrechnungen, die ihnen im vergangenen Jahr ins Haus flatterten, erschrocken die Augen gerieben haben. Sogar 7.300 Euro sollen es in einem Fall gewesen sein, diesen Betrag soll der Mieter einer 78 Quadratmeter-Wohnung in der Wilhelm-Leuschner-Straße in Kaltenmoor zahlen, wie die "Landeszeitung" kürzlich berichtete. Absender der horrenden Rechnungen: die dortigen Wohnungsgesellschaften, darunter Vonovia, GVN Hamburg und andere. Auffallend dabei war, dass stets Mieter betroffen waren, deren Wohnungen am Fernwärmenetz der Avacon hängen.

Die Frage, die daher gestern im Raum stand: Ist bei den Heizkostenabrechnungen alles mit rechten Dingen zugegangen?

◼︎ Avacon zeigt auf Vonovia

An der Brisanz des Themas kam auch die Stadtverwaltung nicht mehr vorbei, die es nun auf die Tagesordnung der gestrigen Ratssitzung setzte. Doch statt selbst Stellung zu nehmen, musste der Geschäftsführer der Avacon Wasser GmbH, Thomas Meyer, die Fragen der teils aufgebrachten Ratsmitglieder beantworten. Der wiederum verwies darauf, dass Avacon in der Regel gar keine Verträge mit den Mietern, sondern mit den Wohnungsgesellschaften habe, die dann auch für die Heizkostenabrechnungen zuständig seien.

Warum aber um bis zu 65 Prozent erhöhte Abschläge trotz Energiepreisbremse gefordert wurden, konnte auch Meyer nicht beantworten. Er warf den Ball deshalb ins Feld der Wohnungsgesellschaft: "Ohne Vonovia kommen wir hier nicht weiter." Doch weder ein Vertreter dieser noch einer anderen Wohnungsgesellschaft war gestern anwesend. Alles also nur ein Problem der Wohnungsgesellschaften? Oder hat auch die Avacon womöglich selbst von den turbulenten Preisentwicklungen während der Energiekrise 2022 profitiert? Gänzlich auszuschließen ist dies offenbar nicht, denn vorsorglich erklärte der Avacon-Geschäftsführer gestern: "Wenn wir einen Fehler gemacht haben, gleichen wir das aus."

◼︎ Kalischs fragwürdige Rolle im Avacon-Aufsichtsrat

In der SPD-Fraktion kam das alles nicht gut an, sie nahm vor allem die Stadtverwaltung in den Blick: "Warum ist die Stadt erst jetzt aktiv geworden? Das versteht kein Mensch", empörte sich Jörg Kohlstedt und fragte Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch (Grüne), was sie denn unternommen habe, schließlich sitze sie ja im Aufsichtsrat der Avacon. "Da bringe ich mich auch ein", erwiderte Kalisch, fügte aber hinzu, dass sie sich "nicht verleiten lasse, meine Schweigepflicht zu brechen". Das aber war von niemandem gefordert worden, lediglich eine Information darüber, ob sie als Oberbürgermeisterin das Thema im Aufsichtsrat angesprochen habe, hätte gereicht. Dass sie dem auswich, ist nachvollziehbar, denn angesprochen hat sie das Thema im Aufsichtsrat nicht, wie LGheute aus sicherer Quelle erfahren hat.

Friedhelm Feldhaus (Grüne) bemühte sich, Kalisch aus der Schusslinie zu nehmen. Er sei "verblüfft über die Anwürfe der noch jung im Amt stehenden Oberbürgermeisterin", sagte der gerade frisch für Wolf von Nordheim in den Rat Aufgenommene – wohl, um die Verantwortung auf Kalischs Vorgänger im Amt, Ulrich Mädge, zu lenken. 

Doch die von dem Grünen erhoffte Beißhemmung gegenüber der seit zwei Jahren amtierenden Oberbürgermeisterin prallte an Andrea Schröder-Ehlers (SPD) ab: "Vieles hätte schon viel früher passieren können und müssen." Sie forderte die Verwaltung auf, endlich aktiv zu werden: "Wir würden uns hier deutlich mehr Engagement wünschen."

Den Finger in die Wunde legte auch Uwe Nehring. "Das Vertrauen in die Fernwärme schwindet!", warnte der SPD-Ratsherr. Schließlich sei die von vielen beschworene Energiewende in Lüneburg ohne eine klimaneutrale Fernwärme nicht möglich. Das räumte auch Avacon-Geschäftsführer Meyer ein, der sich durch die rund einstündige Debatte auch veranlasst sah darauf hinzuweisen, dass es entgegen der weit verbreiteten Auffassung keinen Anschlusszwang an das Fernwärmenetz gebe. 

Und die CDU? Statt als "Oppositionspartei" das Grün geführte Rathaus in die Zange zu nehmen, sieht sich die Fraktion offenbar stärker im Wettbewerb mit der SPD als mit den regierenden Grünen. Anders jedenfalls ließ sich der Hinweis ihres Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Goralczyk, der die angelaufene Debatte als "Wahlkampfveranstaltung der SPD" abzuwerten versuchte, nicht deuten. Zumindest aber brachte er das eigentliche Problem wieder zur Sprache: "Wie gehen wir jetzt mit den Bürgern um?" Eine Frage, auf die es gestern jedenfalls keine Antwort gab. 

◼︎ Mädge zählt die Verwaltung an

Wer aber geglaubt hatte, die Verwaltung hätte die Debatte endlich überstanden, sah sich getäuscht. Es war Alt-Oberbürgermeister Ulrich Mädge, der gestern als Bürger der Stadt die obligatorische Einwohner-Fragehalbestunde seinerseits nutzte, der Verwaltung auf den Zahn zu fühlen. 

"Ich habe Sie am 7. Mai letzten Jahres zu diesem Thema angeschrieben, aber was ist seitdem geschehen?", bohrte der wegen der ungelösten Probleme erboste Alt-OB mit Blick auf seinen früheren Mitarbeiter und heutigen Ersten Stadtrat Markus Moßmann nach. Worum es Mädge dabei ging, ist eine Vereinbarung, die unter seiner Leitung bereits 2013 zwischen Avacon, Vonovia und dem Bürgerforum Kaltenmoor getroffen worden war. Sie sieht vor, bei auftretenden Problemen einen Schlichter hinzuzuziehen – ein Verfahren, das in der Vergangenheit laut Mädge immer gut funktioniert habe. Nur: Davon sei trotz der aktuellen Probleme nichts zu spüren. "Gilt der Vertrag überhaupt noch?", wollte Mädge von einer spürbar angezählten Verwaltung wissen.

Auch bei den Energiekosten bohrte Mädge nach. Es könne nicht sein, dass Avacon seinen Kunden 29 Cent pro Kilowattstunde in Rechnung stelle, die LüwoBau bei anderen Lieferanten aber lediglich 11 Cent zahle. "Wie kommt dieser Unterschied zustande?" Statt aber Antworten zu geben und aktiv zu werden, lasse die Verwaltung "viele tausend Menschen einfach hängen", beklagte Mädge. 

Moßmann bestätigte in der Sitzung den Eingang des Mädge-Schreibens und teilte mit, dass es danach auch Gespräche mit Meyer und anderen Avacon-Vertretern gegeben habe. Auch sei für ihn die Preis-Diskrepanz zwischen Avacon-Angebot und den Vonovia-Abrechnungen nicht nachvollziehbar. Anfang Februar soll es deshalb ein Gespräch mit beiden Unternehmen geben.

Zu der von Mädge angesprochenen langjährigen Vereinbarung zwischen den Unternehmen und dem Bürgerforum Kaltenmoor, woraus sich auch ein Aktivwerden der Verwaltung zur Lösung des aktuellen Heizkosten-Problems hätte ergeben müssen, äußerte Moßmann sich nicht.

Mädge zeigte sich von den Ausführungen der Verwaltung in der Sitzung alles andere als überzeugt. An die Oberbürgermeisterin gewandt sagte er: "Ich kann Ihnen nur dringend raten, für die Betroffenen eine Info-Veranstaltung durchzuführen." Diese soll auch kommen, allerdings erst im März.