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Die Patronen der Johanna Stegen

Warum die Größe einer Schürze nichts über die Bedeutung einer Person aussagt

Lüneburg, 01.05.2013 - Es sollte eine Matinee zu Ehren von Johanna Stegen werden, zu der Schüler des Johanneums Lüneburg am vergangenen Sonnabend eingeladen hatten. Rund 50 Gäste waren gekommen, um Neues, Interessantes und Hintergründiges über die Zeit um den 2. April 1813 zu erfahren. "Johanna Stegen - Zivilcourage 1813" lautete der Titel, den die Gäste als leuchtende Botschaft des Nachmittags vermuteten. Doch das war, wie sich im Laufe der Veranstaltung herausstellte, ein Trugschluss. Zurück ließen die Veranstalter nicht nur viele Fragen, sondern auch zahlreiches Kopfschütteln unter den Gästen.

Angekündigt hatte das Museum Lüneburg, in dessen leeren Hallen die Veranstaltung stattfand, einen wissenschaftlichen Einführungsvortrag über die historischen Hintergründe des Kampfes um Lüneburg im April 1813. Der Blick sollte gerichtet werden auf die Ursachen für die Kämpfe und deren Folgen, so stand es in der Einladung. Worum es nicht gehen sollte, machte Dr. Ulfert Tschirner vom Museum Lüneburg zu Beginn klar: die Fortschreibung der Würdigung der Taten Johanna Stegens.

An seine Seite geholt hatte sich Tschirner dafür den Hamburger Philosophielehrer Dr. Helmut Stubbe da Luz, auch als Privatdozent für Geschichte tätig. Dieser versuchte sich im Folgenden an einer selbst konstruierten Fragestellung, die nicht nur die Botschaft des Nachmittags auf den Kopf stellte, sondern an der er im Folgenden auch mühelos scheiterte: "Taugt Johanna Stegen als Vorbild im Sinne der Zivilcourage?", war seine Frage, die der Hamburger vor dem geneigten Publikum gleich eingangs mit einem eindeutigen Nein beantwortete.

Doch nicht nur das. Stubbe da Luz tat sich schwer, seine These zu untermauern. Versuche, dies zu kaschieren, gerieten mitunter peinlich daneben. Mit den mehrfach wiederholten Worten "Ich bin mir nicht ganz sicher, wie viele Patronen in so eine Schürze passen", sollte nicht nur Zweifel an der Glaubwürdigkeit der überlieferten Daten, sondern auch an der Person Johanna Stegens gesät werden.

In kopfschüttelndes Erstaunen versetzte er die Zuhörer zudem mit der Bemerkung, das historische Ereignis habe "vermutlich stattgefunden". Warum 200 Jahre nach dem Ereignis und eindeutigen historischen Belegen daran gezweifelt werden sollte, ließ Stubbe da Luz offen. Sattdessen gefiel er sich darin, die Mitwirkung Johanna Stegens an den Gefechtskämpfen des 2. April in den Bereich der Legenden zu verschieben. "Die Indizien dafür, dass Johannas 'Heldentat', so wie meist geschildert, erfolgt ist, sind schwach", lautete eine seiner insgesamt 18 Thesen, die er - wohl ahnend, dass sein Vortrag nicht recht gelingen werde - im Anschluss als Fotokopie an die Gäste verteilte.

Zivilcourage aber sprach er der damals 20-Jährigen ab, weil Johanna nicht Verbandszeug, sondern "militärisches Material exklusiv für eine der beiden Parteien" lieferte. Auch, dass sie sich vorsätzlich in höchste Lebensgefahr gebracht hatte, "ohne dass dieser Einsatz durch ein angemessenes ethisches Gut, das da verfolgt wurde, zu rechtfertigen gewesen wäre", führte Stubbe da Luz als Auschlusskriterium an.

Verwirrend an dem Nachmittag war nicht nur, dass Stubbe da Luz bei seinen Thesen über Johanna Stegen häufig zwischen geschichtlicher und historischer Person wechselte, ohne offenbar selber recht zu wissen, wo er sich argumentativ gerade befand - zumindest ließ er es das Publikum nicht wissen. Verwirrend war insbesondere, dass er umständlich die Konstruktion des Begriffs der Zivilcourage bemühte, um den Lüneburgern eigentlich nur eines deutlich zu machen: 200 Jahre nach dem Eingreifen in die Geschehnisse des 2. April 1813 ist das Wirken Johanna Stegens als vollkommen bedeutungslos einzuordnen.

Doch diese These schien ihm offenbar zu gewagt, denn dann hätte er sich vermutlich recht schnell in der misslichen Lage gesehen, eingestehen zu müssen, dass "durch das Herbeitragen von Patronen in ihrer Schürze ein Gefecht für eine legitime politische Sache wesentlich beeinflusst" worden ist. Doch genau diesen Aspekt ließ Stubbe da Luz außen vor, wohl wissend, dass es nicht darauf ankommt, wie viele Patronen am 2. April in die eigenen Linien gebracht wurden, sondern welche Wirkung diese Tat einer 20-Jährigen auf die Moral der verzweifelt kämpfenden Soldaten gehabt hat.