Änderungsantrag von SPD, CDU und FDP setzt sich nach kontroverser Debatte im Rat durch
Lüneburg, 29.11.2024 - Es war der zweite Anlauf, das aus Sicht von SPD, CDU und FDP Schlimmste zu verhindern, und dieses Mal glückte er. Mit deutlicher Mehrheit brachten die drei Fraktionen in der Ratssitzung am Donnerstag ihren gemeinsamen Änderungsantrag durch, mit dem sie für eine kontrollierte Umsetzung des "Nachhaltigen urbanen Mobilitätsplans", dem "NUMP", votierten. Doch der Abstimmung, die erneut geheim erfolgte, ging eine lange und für die jeweils unterschiedlichen Positionen erkenntnisreiche Debatte voraus. Hier die interessantesten Wortbeiträge.
Nur was sinnvoll und finanziell tragbar ist, soll umgesetzt werden. Mit dieser für Ratsmitglieder eigentlich selbstverständlichen Forderung setzten SPD, CDU und FDP sich gegen einen Beschlussvorschlag der Stadtverwaltung durch, der erwartungsgemäß von den Grünen massiv unterstützt wurde. Diese wollten das von der Verwaltung erarbeitete umfangreiche und in der Konsequenz wohl einige hundert Millionen Euro schwere Maßnahmenpaket zum "NUMP" pauschal durchsetzen, sahen sich damit aber einer geschlossen auftretenden Ratsmehrheit gegenüber, die der Verwaltung für dieses Mammut-Projekt keinen Freifahrtschein ausstellen und dem Rat weiterhin Kontrollmöglichkeit sichern wollte.
Bevor es dann wie schon beim letzten Mal zur geheimen Abstimmung ging, wurde noch einmal grundsätzlich über die "NUMP"-Vorlage debattiert. Hier die wertvollsten Auszüge aus der Debatte:
Frank Soldan (FDP); er hatte den gemeinsamen Änderungsantrag von SPD, CDU und FDP initiiert:
- "Dieser Änderungsantrag bietet zwei Dinge: Er bietet uns als Politik die Möglichkeit, steuernd und entscheidend abwägend einzugreifen. Er bietet uns die Möglichkeit, finanzielle, personelle Ressourcen in der Stadt zu berücksichtigen. Er unterbindet keine Maßnahme, er verzögert keine Maßnahme."
- "Im NUMP steht auch, dass man von der Hindenburgstraße nicht mehr in die Bockelmannstraße abbiegen kann. Wo fahren dann die Fahrzeuge aus dem Westen des Landkreises hin, wenn sie zur Ostumgehung wollen? Durch den Westkreis? Ich kann mich erinnern, dass sich jemand vehement gegen eine Westumfahrung eingesetzt hat."
- "Es soll laut NUMP erreicht werden, dass von der Bleckeder Landstraße keiner mehr in die Lünertorstraße kommt. Dort sollen nur noch Busse verkehren. Warum bauen wir dann Brücken mit einem Eigenanteil von fast 8 Millionen Euro breiter, wenn dort nur noch Busse fahren und Fußgänger gehen können?"
- "Wer jetzt sich entschließt, den Maßnahmenkatalog pauschal und unkritisch, ohne die einzelnen Maßnahmen gesondert zu hinterfragen, zustimmt, der macht sich an der gesamten Bevölkerung der Stadt – ich will nicht sagen, schuldig –, aber zumindest stellt er infrage, ob es noch andere Interessen gibt. Schulbauten, Kindergartensanierung und so weiter. Das Geld kann nur einmal ausgegeben werden."
Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch (Grüne):
- "Der "NUMP ist die schlüssige Fortsetzung dieses Plans (gemeint ist der Verkehrsentwicklungsplan; Anm.d.Red.) aus dem Jahr 1991. Lüneburger sind nach und nach umgestiegen, und eben auch aufs Rad. Und das hat dazu geführt, dass es folgerichtig zum Radverkehrskonzept 2015 kam, zur Radverkehrsstrategie 2025 und zum Leitbild Radverkehr 2023 plus. Und schließlich, vor zwei Jahren, haben wir alle gemeinsam im Rat die Ziele vom Radentscheid und Klimaentscheid uns zu eigen gemacht."
- "Dieser NUMP ist nichts anderes, als dem Ratswillen auch Taten folgen zu lassen. Eine reine Kenntnisnahme ist so lapidares: Jaja, hab' ich schon mal gehört. Eine Kenntnisnahme ist kein Bekenntnis."
- "Und natürlich, und das haben wir immer wieder gesagt, werden wir auch die Einzelmaßnahmen weiter hier politisch diskutieren."
Andrea Schröder-Ehlers (SPD):
- "Was wir jetzt haben, ist kein Konzept, sondern ein großes Bündel von Maßnahmen." "Dieses große Maßnahmen-Bündel NUMP enthält aber auch Dinge, die wir klar ablehnen."
- "Die Verlagerung der Verkehre von der Reichenbach-Kreuzung weg – das ist eine der am stärksten befahrenen Kreuzungen in der Stadt – hin auf die Feuerwehr-Brücke, macht gar keinen Sinn." "Jetzt die Lise-Meitner-Straße zu einem Teil des Stadtrings zu machen, macht auch keinen Sinn, denn dann müssten wir die Feuerwache sicherlich irgendwo anders bauen."
- "Allein wenn Sie sich vorstellen, dass der Platz am Sande nochmal neu gestaltet werden soll, damit die Gastronomen mehr Platz haben, das wären ja schon über 10, 20 Millionen, die man nochmal aufwenden müsste."
- "Es sind viele Maßnahmen drin, die gut sind, es sind viele Maßnahmen drin, die schlecht sind. Und von daher können wir uns nicht zu diesem Katalog bekennen, Frau Oberbürgermeisterin."
Anna Bauseneick (CDU):
- "Vielleicht nutzt auch der eine oder andere die heutige geheime Abstimmung dazu, doch die Vernunft und nicht die Ideologie vorwalten zu lassen und sich unserem Änderungsantrag anzuschließen."
- "Eine Mobilitätspolitik, die die Erreichbarkeit unserer Stadt gefährdet, gefährdet auch unsere wirtschaftliche Stärke und unsere Attraktivität als Stadt."
- "Mobilität darf kein Wunschkonzert sein."
- "Es reicht nicht, ein Sammelsurium an Ideen vorzulegen, die weder zeitlich noch wirtschaftlich realisierbar sind."
Cornelius Grimm (FDP):
- "Ich kann nicht einfach pauschal zustimmen, und wir können auch nicht pauschal Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Wenn wir nur 75.000 Euro für einen Spielplatz haben, dann können wir nicht einfach mal sagen, wir bauen hier alles um, spontan. Und ich will gar nicht wissen, was alle Maßnahmen im NUMP kosten."
- "Ich habe ein bisschen Angst davor, dass mir irgend jemand sagt: In fünf Jahren müssen wir fertig sein mit dem NUMP, und das habt Ihr so gewollt und das müssen wir jetzt so machen und ich hab' keine Ahnung, wo wir das Geld hernehmen sollen."
Pia Redenius (Grüne):
- "Ich habe keine Lust mehr zu beobachten, wie im Rat und Mobilitätsausschuss eine konkrete Maßnahme nach der anderen für eine Mobilitätswende gestoppt wird."
- "Der NUMP ist ein Handlungsleitfaden. Wir werden über die Planungen noch weiter sprechen; viel mehr, als mir ehrlich gesagt lieb ist, werden wir die auseinanderdiskutieren."
- "Hier wird immer gern so getan, als hätten wir alle im Straßenraum die gleichen Rechte. Das ist falsch! Menschen, die sich zu Fuß und auf dem Fahrrad, besonders mit Einschränkungen im Straßenraum bewegen, sind in Gefahr!"
- "Wir wollen eine Gleichberechtigung erlangen, deshalb gibt es diesen Plan."
Dr. Corinna Maria Dartenne (Grüne):
- "Zu dem Änderungsantrag: Welch' eine elendliche Politik mit angezogener Handbremse."
- "Keiner im Saal muss hier Angst haben, dass irgendjemandem etwas weggenommen wird. Keiner im Saal muss Angst haben, dass irgendein Euro zuviel ausgegeben wird."
Friedhelm Feldhaus (Grüne):
- "Keine Veränderung ist immer ein Rückschritt."
Frank Soldan (FDP):
- "Was ich hier von der linken Seite gehört habe, unterstellt uns, dass wir keine Veränderungen im Verkehrsraum haben wollen. Das ist falsch! Sie unterstellen uns ebenfalls, dass wir alles verzögern wollen. Das ist falsch! Wir haben uns alle zu Veränderungen bekannt. Wir sehen es nur nicht so wie Sie, die Sie alles pauschal abnicken. Wir wollen das Heft des Handelns in der Hand behalten.
Ulrich Blanck (Grüne):
- "Ich habe hier jetzt viele Bedenken gehört und Anregungen gehört und Fragen zum NUMP gehört. Ich habe nur keine einzige Erklärung bekommen von den Bedenkenträgern dieser Welt, warum sie all' diese Fragen nicht im NUMP-Beirat gestellt haben."
- "Ich hätte mir gewünscht, dass wir hier heute alle, und nicht nur sehr partiell, mutig gewesen wären, die Verkehrswende für Lüneburg einen großen Schritt voranzubringen."
Wolfgang Goralczyk (CDU):
- "NUMP – ich habe mir ganz viel davon versprochen. Das, was rausgekommen ist – ich war tierisch enttäuscht. Auch wir als CDU-Fraktion wollen, und das sollte selbstverständlich sein, das Beste für unsere Bürger. Aber für alle Bürger, und nicht für Partikularinteressen. Die triefen nämlich nur so in diesem NUMP-Plan."
- "Bei der Vergabe habe ich gesagt, es fehlt mir die Einbeziehung von Wirtschaft, Handwerk, Güterkraftverkehr. Wo ist die geblieben? Antwort derjenigen, die den NUMP vorgestellt haben: Nein, war auch nicht gefordert. So kann das doch nicht laufen!"
Hiltrud Lotze (SPD):
- "Ich bitte einfach zur Kenntnis zu nehmen, meine Damen und Herren und besonders die Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, dass wir uns das demokratische Recht herausnehmen, eine andere Meinung zu haben."
- "Und es ist Quatsch, liebe Leute, uns hier irgendwie Blockade oder Verhinderung vorzuwerfen, und d as wisst Ihr auch. Wir sind für den NUMP, nur wie wir dahin kommen, das sehen wir etwas anders."
Am Ende votierten die Ratsmitglieder mit knapper Mehrheit gegen den Antrag der Verwaltung und mit großer Mehrheit für den Änderungsantrag von SPD, CDU und FDP. Damit wurde der nachfolgende Beschluss gefasst:
- Der Rat der Hansestadt Lüneburg nimmt die im Erstellungsprozess des NUMP erarbeiteten Maßnahmenempfehlungen zur Kenntnis.
- Die Verwaltung legt dem Ausschuss für Mobilität rechtzeitig vor Beginn der Haushaltsberatungen, jeweils für das kommende Haushaltsjahr, eine Liste konkreter einzelner Maßnahmen vor, die eine Bewertung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Umsetzbarkeit und ihres Beitrags zur Erreichung der bereits bestehenden Ziele der Hansestadt Lüneburg enthält. Dabei ist eine Priorisierung vorzunehmen, die nach Effizienz und Auswirkungen auf die gesamte Verkehrssituation in der Hansestadt geordnet ist.
- Der Maßnahmenkatalog ist verkehrsträgerübergreifend zu gestalten und soll dabei die Interessen aller Verkehrsträger und -teilnehmer sowie die Auswirkungen auf die Verkehrssituation in der gesamten Hansestadt berücksichtigen. Die Polizei und Vertreter der örtlichen Wirtschaft (Handwerkskammer, IHK, LCM) werden zur Bewertung der Sicherheits- und wirtschaftlichen Aspekte eingebunden, um eine umfassende Prüfung der vorgeschlagenen Maßnahmen zu gewährleisten. Dies kann entsprechend des Verwaltungsvorschlages im Rahmen einer Sitzung des Arbeitskreises Verkehr erfolgen ("Sondersitzung NUMP"), der für diesen Zweck um die Vertreter:innen der örtlichen Wirtschaft erweitert wird.
- Die Maßnahmenauswahl und -priorisierung ist in einer Sitzung des Mobilitätsausschusses vorzustellen, welche mit Blick auf die Haushaltsberatungen spätestens im dritten Quartal eines Jahres stattzufinden hat. Für die weitere Gremienberatung empfiehlt der Mobilitätsausschuss, zur Berücksichtigung in den Haushaltsberatungen, die umzusetzenden Maßnahmen.
- Die Finanzierung der priorisierten Maßnahmen wird im Rahmen der jeweiligen Haushaltsplanungen geprüft. Dazu sind Fördermöglichkeiten von Bund und Land sowie weitere externe Finanzierungsoptionen mit zu prüfen. Vorhandene personelle und finanzielle Ressourcen sind zielgerichtet für die Maßnahmenumsetzung einzusetzen. Sollte die Planung und Umsetzung der priorisierten Maßnahmen zusätzliche Ressourcen erfordern, so sind diese im Stellenplan und im Haushaltsplanentwurf mit entsprechender Begründung einzustellen.
- Gesondert von der Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel bedarf die Umsetzung einzelner Maßnahmen einen Beschluss des Rates, sofern es sich nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelt.
◼︎ Dazu bisher auf LGheute:
- 27.11.2024: Lüneburg soll autofreundlich bleiben
- 14.11.2024: Wieder geht ein Familienbetrieb verloren
- 30.10.2024: Rat verheddert sich im Abstimmungs-Kuddelmuddel
- 28.10.2024: "Das geht völlig an der Realität vorbei"