Studentinnen stören sich an weiblicher Skulptur und lassen sie entfernen
26.07.2023 - Man muss nicht alles mögen, was die Kunst hervorbringt. Sie aber zu verbieten oder zu verbannen, wie jetzt an der Uni Flensburg geschehen, erinnert an dunkle Kapitel deutscher Geschichte. Als "entartete Kunst" wurde unter den Nazis all das aus dem öffentlichen Raum entfernt, was nicht in die verquere Gedankenwelt der NS-Ideologen passte. Davon scheinen einige "Studierend:innen" in Flensburg offenbar noch nie etwas gehört zu haben.
Es ist eine schlichte, halbabstrakte Skulptur, die eine nackte Frau mit über dem Kopf verschränkten Armen darstellt. Doch das ist es offenbar nicht, was den "Gleichstellungs- und Diversivitätsausschuss" der Uni Flensburg veranlasste, die eher unauffällige Figur namens "Primavera", geschaffen von dem Bildhauer Fritz During (1910 - 1993), aus dem Verkehr zu ziehen.
Der Ausschuss reagierte damit auf Proteste einiger Studentinnen, die sich an dem "gebärfreudigen Becken" der Bronzeskulptur störten. "Die Skulptur stehe für ein überholtes Bild von Weiblichkeit und reduziere Frauen auf ihre Fruchtbarkeit und Gebärfähigkeit, wird der Entscheid begründet", heißt es in einem sehr lesenswerten Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung zu diesem Thema. Der Anblick der Skulptur habe bei einigen Studentinnen "Unbehagen" ausgelöst.
Diese Entwicklung ist auf zweierlei Weise bemerkenswert: Zum einen, weil persönliche Gefühle heutzutage anscheinend ausreichen, um unliebsame Dinge entfernen oder verbieten zu lassen. Zum anderen, weil die Angst vor der eigenen Autorität und Entscheidungsbefugnis gepaart mit vorauseilendem Gehorsam auch heute wieder jeden (Gleichstellungs- und Diversivitätsausschuss) vor möglichen Protesten einiger weniger Studentinnen zusammenzucken lässt.
Nun ist Flensburg nicht der erste Ort, an dem Kunst aufgrund von Protest Andersdenkender oder Fühlender entfernt wurde. Doch es zeigt, wie sehr der Toleranzspielraum, den jede Gesellschaft immer wieder aufs Neue austarieren muss, inzwischen verengt wurde – in diesem Fall von jungen Menschen, die Toleranz gern in Großbuchstaben auf ihre Fahnen schreiben. Natürlich nur, wenn es um ihre eigenen Belange geht.
Übrigens: Durings "Primavera" steht inzwischen im Büro des Gebäudemanagers der Uni Flensburg. "An ihrer Stelle steht nun ein Fragezeichen in Regenbogenfarben", heißt es in dem NZZ-Beitrag von Birgit Schmid. Und sie schreibt weiter: "Das Fragezeichen bezeichnet nichts und kann deshalb auch keinen Anstoss erregen. Es ist das angemessene Zeichen für junge Menschen, die durch nichts beunruhigt werden möchten. Alles potenziell Störende ist in der Harmonie des Regenbogens aufgelöst, dem Symbol für Vielfalt und Toleranz. Genau diese Toleranz lassen die Kritikerinnen vermissen, wie immer bei solchen Cancel-Versuchen." Unbedingt den ganzen Beitrag lesen!