Rathaus verstrickt sich in Widersprüchen um die Bus-Sperren Am Sande – Kalisch kritisiert Seniorenbeirat und stellt Pressefreiheit infrage
Lüneburg, 31.05.2024 - Die Widersprüche der Lüneburger Stadtverwaltung um die monatelange Sperrung des Platzes Am Sande für Linienbusse reißen nicht ab. Erneut muss das Rathaus frühere Aussagen korrigieren. Irritierend dabei: Stadtverwaltung und Busbetreiber KVG scheinen kaum miteinander zu kommunizieren, wie die jüngste Ratssitzung zeigte. Weitaus problematischer aber war der Auftritt von Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch in der Sitzung. Sie offenbarte ein höchst fragwürdiges Verständnis des Rathauses im Umgang mit der freien Presse.
Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Noch vor fünf Tagen, am 27. Mai, trat die Pressestelle des Rathauses mit der Information an die Öffentlichkeit, der Platz Am Sande müsse für drei Monate wegen Bauarbeiten in der Roten Straße gesperrt werden. Der Platz sei damit nur noch von der Altenbrückertorstraße aus anfahrbar. Weil Busse auf dem Platz Am Sande aber nicht wenden könnten, so die Aussage, sollen Kleinbusse des Taxi-Unternehmens Röhlig eingesetzt werden. Originalwortlaut: "Es handelt sich um kleine Fahrzeuge, die im Gegensatz zu den normalen Linienbussen auf dem Platz wenden können."
◼︎ Chronologie der Widersprüche
Diese Behauptung der Stadtverwaltung hatte nicht lange Bestand. Schon zwei Tage später, am 29. Mai, teilte die Interessenvertretung "Fuss e.V. Lüneburg" mit, Busse könnten durchaus wenden, dies habe die KVG auf Nachfrage bestätigt.
LGheute ging der Sache nach und wandte sich am 30. Mai an die KVG. Antwort: Ja, ein Wenden sei möglich, aber nur, indem Busse zurücksetzten. Wegen des damit verbundenen Gefähdrungspotentials rate man aber "dringend davon ab". Auf Nachfrage nach dem Umfang des Wendekreises der KVG-Busse räumte die KVG ein, dass ein Wenden nun doch ohne Zurücksetzen möglich sei, allerdings nur für die 12-Meter-Busse.
Wenig später in der Ratssitzung am selben Tag erklärt Lüneburgs Verkehrsdezernent Markus Moßmann wiederum: "Die städtische Prüfung hat ergeben, dass ein Wenden bei exaktem Wendekreis ohne Abweichung beim Steuern unter Berücksichtigung individuellen Fahrvermögens des Fahrpersonals und nur mit Zurücksetzen möglich ist."
Einen Tag später kommt die Stadtverwaltung mit der nächsten Variante. Seit dem 31. Mai heißt es nun: "Das Wenden auch kurzer Linienbusse in einem Zuge ist am Sande nach Aussage der KVG nicht möglich, zumindest nicht, ohne den Fuß- und Radverkehr, aber auch sonstige berechtigte Verkehre zu gefährden oder die vorhandene Infrastruktur (Hydranten, Laternen) zu beschädigen bzw. anpassen zu müssen. Das haben auch die städtischen Prüfungen der Schleppkurven und Wendekreise bestätigt."
◼︎ Gestörte Kommunikation
Kommunizieren KVG und Stadtverwaltung nicht miteinander? Diese Frage stellt sich auch bei zwei weiteren Punkten. So äußerte die KVG, dass bei der Suche nach einer Lösung des Problems auch über die Verschiebung der Baustelle in der Roten Straße nachgedacht werde, um wenig später zu erklären, dass man hier falsch verstanden worden sei. Ebenso bei der ursprünglichen Auskunft, wonach in der kommenden Woche ein Runder Tisch mit betroffenen Unternehmen, Einrichtungen und Organisationen geplant sei. Auch dies nahm die KVG zurück, es hieß dann nur noch, man sei für Gespräche offen. Spätestens hier drängt sich der Verdacht auf, dass die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung zum Hörer gegriffen haben, um die desolate Kommunikationslage wieder in den Griff zu bekommen.
◼︎ Rathaus noch demokratiekonform?
Verärgert über die Berichterstattung auf LGheute, reagierte die Stadtverwaltung in der Ratssitzung am 30. Mai mehr als gereizt. "Es reicht, ich bin wirklich sauer", ließ Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch die Ratsmitglieder wissen. So gehe man nicht miteinander um, klagte sie – und nahm sich LGheute und Ulrich Mädge vor, der als Mitglied des neu gewählten Seniorenbeirats gewagt hatte, die Verwaltung wegen der Bus-Sperrung zu kritisieren und deren Agieren in der Sache "stümperhaft" zu nennen.
Mädges Kritik quittierte Kalisch mit Vorwürfen. Seine Äußerungen seien gespickt "mit abschätzigen Formulierungen, mit Halbwahrheiten und Fehlinformationen". Und sie setzte noch einen drauf: "Inzwischen haben sich Online-Journalisten als seine Verstärker geriert und die Verwaltung unter anderem der Lüge bezichtigt. Hier hört der Diskurs auf, hier fängt Diskreditierung an und das ist respektlos." Zugleich dankte sie ihrem Verkehrsdezernenten Markus Moßmann für den "hochseriösen Umgang mit der Thematik".
Irritiert von ihrer Äußerung wandte sich Ratsmitglied Philipp Meyn (SPD) an die Oberbürgermeisterin. "'Hier hört der Diskurs auf', das ist eine gewichtige Aussage in einer Demokratie", sagte Meyn und forderte Kalisch auf, für diese Behauptung die Kriterien zu benennen, "dass wir in der Öffentlichkeit eine Diskussion nicht darüber führen dürfen, ob eine Verwaltung tatsächlich sinnvoll agiert oder nicht sinnvoll agiert".
Antwort der Oberbürgermeisterin: Es komme auf den Tonfall an und man möge das Gespräch mit der Verwaltung suchen.
◼︎ "Das sind wichtige Informationsmedien"
"Soll es jetzt verboten sein, Maßnahmen der Verwaltung zu kritisieren? Und dürfen Menschen sich nicht mehr dazu äußern?", hakte Andrea Schröder-Ehlers (SPD) nach. Auch wollte sie wissen, wie Kalisch zu der Behauptung komme, Online-Medien – gemeint sind LGheute und "Lüneburg aktuell" – gerierten sich als "Verstärker" von Kritikern der Verwaltung. "Woher nehmen Sie diese Erkenntnisse? Ich finde, das sind sehr wichtige Informationsmedien bei uns im Landkreis. Und ich finde, die müssen ihre Position auch sehr deutlich ausdrücken können. Das gehört zu einem gesellschaftlichen Diskurs und einem politischen Diskurs dazu. Was ist da jetzt Ihr Vorwurf?"
Kalisch: "Es ist immer gut, miteinander zu reden, bevor man etwas hinausposaunt."
◼︎ Der angebliche "Lügen-Vorwurf" auf LGheute
Anders als von der Stadtverwaltung dargestellt, hat LGheute an keiner Stelle behauptet, die Verwaltung habe gelogen. In dem LGheute-Kommentar (!), auf den sich die Stadtverwaltung bezieht, heißt es: "Die Stadtverwaltung begründet ihre Pläne damit, dass die Busse auf dem Sand nicht wenden könnten. Dass dies durch eine einfache Nachfrage der Fußgänger-Lobbyisten beim Busbetreiber KVG widerlegt wurde, zeigt, dass man sich in der Verwaltung anscheinend nur noch mit Notlügen zu retten hofft." Eine Behauptung ist damit nicht verbunden, das sollte die Stadtverwaltung eigentlich wissen. Der Kommentar ist im Übrigen weiterhin online.
Die komplette Ratssitzung ist auf Youtube nachverfolgbar. Die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt beginnt ab Minute 23:00 und endet bei Minute 52:55.
Auf einen eigenen Kommentar wird an dieser Stelle verzichtet. Stattdessen wird der sehr lesenswerte Kommentar von Carlo Eggeling auf "Lüneburg aktuell" empfohlen.
◼︎ Dazu bisher auf LGheute:
- 30.05.2024: "Wenden geht, ist aber nicht praktikabel"
- 29.05.2024: Kritik an geplanter Bussperrung weitet sich aus
- 29.05.2024: Echte Probleme
- 28.05.2024: "Das ist stümperhaft vorbereitet"
- 27.05.2024: Drei Monate kein Busverkehr am Platz Am Sande