Lüneburgs Einsatz für eine Neubaustrecke war Thema bei "Markus Lanz" – Politik rückt Lösung näher
Lüneburg, 21.04.2023 - Dass Lüneburg es mal in die Sendung von "Markus Lanz" schafft, kommt nicht alle Tage vor. Gestern Abend war es soweit, Anlass waren die seit Jahrzehnten aufgetürmten Probleme bei der Deutschen Bahn. Lüneburg und der Streit um den künftigen Schienenverkehr zwischen Hamburg und Hannover galt dabei stellvertretend für ganz Deutschland. Doch wer genau hinhörte, konnte eine Lösung des Konflikts erkennen. Die zeichnet sich offenbar auch an anderer Stelle ab.
Eingeladen in die Sendung waren neben der FAZ-Journalistin Helene Bubrowski Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr Michael Theurer und der Bahn-Experte Prof. Dr. Christian Böttger von der Hochschule Technik und Wirtschaft Berlin.
Zur Sache ging es ab etwa der 50. Minute, als Theurer über die notwendigen Sanierungen im deutschen Schienennetz sprach und bis 2030 insgesamt 45 Strecken-Generalsanierungen ankündigte, jede einzelne mit einer fünfmonatigen Vollsperrung. Start der Sanierungen soll im zweiten Halbjahr 2024 sein. Wie berichtet ist 2026 auch die Strecke Hamburg - Hannover davon betroffen.
◼︎ Doppelzüngigkeit der Politik
Der Konflikt, in dem sich die Bahn seit Jahrzehnten befindet, zeigte sich aber, als Bahn-Experte Böttger deutlich machte, dass auch die geplante Grundsanierung der Strecke Hamburg - Hannover allein nicht reichen wird und nur ein Neubau – parallel zur A7 – die dringend erforderliche Entlastung bringen wird. Nur: Dieser Vorschlag stehe bereits seit 30 Jahren im Raum, schaffte sogar den Sprung in den Bundesverkehrswegeplan, doch erreicht sei bislang nichts.
Für diese enorme Problemverschleppung nannte Böttger auch einen Grund: Während Bundespolitiker in Berlin stets von der Notwendigkeit einer umfassenden Streckensanierung sprechen, seien es oft dieselben, die in ihrem Wahlkreis zu Hause alles tun, um entsprechende Vorhaben der Bahn zu verhindern. Damit spielte Böttger aktuell auf den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil an, der seinen Wahlkreis bekanntlich im Heidekreis hat und sich im Bundestagswahlkampf 2021 deutlich gegen die Neubaustrecke vor seiner Haustür aussprach.
◼︎ Ausbau-Variante ist "Quatsch"
Es war dann Stephan Weil, der sich bemühte, nicht nur Lars Klingbeil aus der Diskussion herauszuhalten, sondern auch als Lösungspolitiker aufzutreten, indem er sich gegen die "Taube auf dem Dach" – gemeint war die Neubaustrecke – und für den Ausbau der Bestandsstrecke aussprach. Der Ausbau sei das Ergebnis eines "mühsamen Prozesses", den die damalige Landesregierung angeschoben hatte und der schließlich im "Dialogforum Schiene Nord" mündete, aus dem dann die umstrittene Ausbauvariante Alpha-E hervorging.
Weil räumte aber ein, dass der Bestandsstreckenausbau zwar nicht die "Top-Top-Lösung" sei, "aber wenigstens eine Lösung", woraufhin Böttger ihm entgegen hielt, dass aus Sicht der Experten ein solcher Ausbau "Quatsch" sei. Nicht ganz richtig lag der Professor bei seiner Behauptung, dass der "Bürgermeister von Lüneburg" zum Dialogforum nicht mehr eingeladen werde, weil die Stadt eine andere Meinung als Hannover vertrete, was Weil nicht nur mit Verweis auf Lüneburgs Oberbürgermeisterin korrigierte, sondern auch mit dem am vergangenen Montag stattgefundenen Parlamentarischen Abend in Berlin, an dem neben Landrat Jens Böther auch Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch teilgenommen hatte. Weils Fazit bei Lanz: Eine kleine Lösung sei besser als wieder bei Null anzufangen, weil Neubaustrecken politisch nicht durchsetzbar seien.
◼︎ Dialogforum zur Verhinderung einer Neubaustrecke
Doch das stimmt so nicht. Die Landesregierung in Hannover hat sich trotz der jetzt von Weil erkannten Notwendigkeit einer Neubaustrecke nie für diese Lösung stark gemacht. Stattdessen ließ Weil 2014 seinen Verkehrsminister Olaf Lies das Dialogforum ins Leben rufen, als sich in den betroffenen Kommunen Widerstand regte. Es sollte ein Kompromiss gefunden werden, tatsächlich aber zeigte die Besetzung des Dialogforums, worum es eigentlich ging: die Verhinderung einer Neubaustrecke.
Die "kleine Lösung", von der Weil bei Lanz gestern sprach, ist also kein Schritt in die Zukunft des Schienenverkehrs in Norddeutschland, sondern offenbart sich als Zurückweichen der Politik vor unliebsamen, aber notwendigen Entscheidungen. Das machte auch Bahn-Experte Böttger deutlich, als er darauf verwies, dass Politiker gern bereit seien, viel Geld für aktuelle Projekte und Probleme auszugeben, sich aber scheuen, die "wirklich dicken Bretter" zu bohren, deren Ergebnisse erst vorlägen, wenn sie schon selbst nicht mehr im Amt seien. Als Beispiel nannte er das 49-Euro-Ticket, für das flugs fünf Milliarden Euro bereitgestellt wurden, das seiner Ansicht nach den erhofften verkehrspolitischen Zweck aber verfehlen werde.
◼︎ Gesichtswahrende Lösung gesucht
Wie aber geht es weiter? Das war Thema des Parlamentarischen Abends am 17. April in Berlin, zu dem Verkehrsminister Lies eingeladen hatte. Er sieht sich vor dem Problem, das Ergebnis des von ihm ins Leben gerufenen Dialogforums ohne großen Gesichtsverlust über kurz oder lang ins Leere laufen zu lassen. Denn eines wurde an dem Abend deutlich: Die Deutsche Bahn und das Bundesverkehrsministerium sehen einen Neubau der Schienenverbindung zwischen Hamburg und Hannover als einzige Möglichkeit, um genügend Kapazitäten für den Bahnverkehr und den Deutschlandtakt zu schaffen. Nur dort sei außerdem die Wirtschaftlichkeit gegeben, und diese ist rechtlich notwendig.
Rückenwind gab es dazu auch von Vertretern aus dem Deutschen Bundestag. So betonte der bahnpolitische Sprecher der Grünen, Matthias Gastel, dass der Bundestag die Infrastruktur für ganz Deutschland im Blick habe und er sich daher im nationalen Interesse sehr deutlich für eine Neubaustrecke ausspreche.
◼︎ Viergleisiger Ausbau ist vom Tisch
"Das bestätigt unsere Position als Landkreis Lüneburg und ist ein klares Signal für Klimaschutz und Verkehrswende", sagt Landrat Jens Böther, der bei der gestrigen Kreistagssitzung von dem Parlamentarischen Abend berichtete. Dabei sei auch deutlich geworden, dass eine Neubaustrecke die Bestandsstrecke entlaste, auf der sich der Nahverkehr wiederum verdoppeln ließe und der Güterverkehr halbiert werde. Zudem bliebe die Fernverkehrsanbindung für Lüneburg unverändert, sagte Böther mit Bezug auf Äußerungen aus Bahnkreisen. Ein viergleisiger Ausbau durch Lüneburg oder der bestandsnahe Ausbau westlich davon sei hingegen "kein Thema mehr".
Nun soll die Deutsche Bahn auf Wunsch von Niedersachsen den regionalen Mehrwert der Neubaustrecke stärker herausarbeiten, so das Bundesverkehrsministerium. "Das ist sicher sinnvoll, um die Bevölkerung in den skeptischen Nachbarkreisen und auch bei uns im Landkreis Lüneburg gut mitzunehmen", sagt Böther. "Ich wünsche mir aber, dass der Neubau zügig vorangetrieben wird."
Ob die Bahnstrecke Hamburg – Hannover neu gebaut wird, entscheidet der Bundestag. Eigentlich sollte das noch vor der Sommerpause geschehen. Doch dazu müssen zuvor noch politische Weichen gestellt werden, denn die Landesregierung in Hannover braucht Argumente, die es ihr ermöglicht, ihr bislang starres Festhalten an einem Ausbau der Bestandsstrecke ohne Gesichtsverlust aufzugeben.
◼︎ Grundsanierung als rettende Lösung
Da könnte ihr die geplante Grundsanierung der Strecke Hamburg - Hannover helfen. Weil dabei umfangreiche Ertüchtigungen im Gleisbau, an Oberleitungen, Weichen und Sicherheitstechnik anstehen, könnte sie als Schritt zur Umsetzung von Alpha-E verkauft werden. Und für die Soltauer Bedenken wird sich vermutlich noch ein Zubrot finden, das die Akzeptanz für die Neubaustrecke steigen ließe. Ein Bahnhof an einer der wichtigsten Verkehrsachsen etwa dürfte manch Kommunalpolitiker zum Umdenken bringen.
Landrat Böther jedenfalls appelliert an alle Beteiligten, die Verzögerungstaktik zu beenden. "Wir brauchen bei dem Thema Tempo und keinen Bummelzug – ich wünsche mir eine Bundestagsentscheidung noch in diesem Jahr."