30.09.2024 - Das Bild mit der leichtbekleideten Südsee-Schönheit vor untergehender Sonne über friedlichem Meer hat sich mir eingebrannt. Es hing im Treppenhaus von Karstadt am Markt, umrahmt von anderen Kostbarkeiten, die dort zum Kauf angeboten wurden und von Lüneburgern, Bardowickern und Bleckedern in den Sechzigern sehnsuchtsvoll in ihre Wohnzimmer getragen wurden, bevor sie später dann selbst im stolz erworbenen Aufschwung-Käfer die Urlaubsreise in den Süden antraten. Traumhaft! Und jetzt?
Jetzt wird Lüneburg wieder beglückt mit einer Art von Kunst, die damals Gebrauchskunst genannt wurde und über die wir damals in der zwölften Klasse im Kunstunterricht urteilen sollten, ob dies Kitsch ist und wenn ja, warum. Unser Urteil war meist eindeutig: natürlich, was sonst! Die Begründung allerdings fiel schon schwerer. Was ist Kitsch? Oft blieb vielen dann nur das persönliche Empfinden als Rechtfertigung für das schnelle Urteil. Wie auch lässt sich Kunst bestimmen, wenn jeder ein Künstler ist, wie Beuys später bemerkte. Hätten wir es nur damals schon gewusst.
Den Lüneburger Graffiti-Sprayern jedenfalls bin ich dankbar. Dankbar, dass sie mir diese Momente der Auseinandersetzung mit verlockender Südsee-Romantik einerseits und kritischer Kunst-Reflexion andererseits wieder in Erinnerung rufen. Und natürlich Karstadt, ohne dessen Treppenhaus all das gar nicht möglich gewesen wäre.
Ein Punkt aber bleibt: Während der Kitsch, oder wie immer man die Werke nennen will, bei Karstadt damals mehr oder weniger diskret zwischen Erdgeschoss und Untergeschoss ihren Platz fanden, wird heute der öffentliche Raum einfach damit besetzt. Man kann sich ihnen nicht mehr entziehen.
Das allein wäre ja nicht so schlimm, wenn auch die Südsee-Schönheit wieder zur Geltung käme oder die rassige Zigeunerin, die im Treppenhaus gleich neben ihr hing. Doch daraus wird wohl vorerst nichts mehr.
Ein Kommentar von Ulf Stüwe
zum Beitrag "Eine Ruhmeshalle für Sprayer"