Die Debatten im Rat der Stadt werden immer langweiliger – Kritik an Ratsvorsitzender Jule Grunau dafür lauter
Lüneburg, 31.01.2024 - Wer heute die Generaldebatte im Deutschen Bundestag verfolgt hat, wird manches beklagen können, ganz sicher aber keine langweilige Sitzung. Aber nicht nur rhetorisch brillante und manchmal auch scharfe Debattenbeiträge sorgen im Reichstag für spannende Auseinandersetzungen, auch die zahlreichen Zwischenrufe aus den Fraktionsreihen gehören dazu. Zeigen sie doch, ob bei den Abgeordneten ein Nerv getroffen wurde. Im Rat der Stadt ist man davon leider weit entfernt.
Es ist gerade mal zwei Jahre her, als ein großes Aufatmen unter den Ratsmitgliedern der Stadt durch die Fraktionen ging. Endlich, so der vielgehörte Tenor nach der letzten Oberbürgermeisterwahl, endlich war Schluss mit den ewigen Streitereien im Rat, die sich nicht selten an der Person und den Zielen des damaligen Oberbürgermeisters Ulrich Mädge entfacht hatten. Nicht mehr gegen-, sondern miteinander wollte man nach der – von nicht wenigen Ratsmitgliedern als lähmend empfundenen – Zeit unter Mädge für das Wohl der Stadt kämpfen. Schluss mit den gegenseitigen Attacken, dem Misstrauen und den haarspalterischen Streitereien um Geschäftsordnungen, die nicht selten in der Anrufung der Kommunalaufsicht in Hannover endeten.
Pure Harmonie schien mit dem Wechsel im Rathaus auch im Rat angebrochen. Diszipliniert und erfüllt von dem Glauben, Politik für Lüneburg sei in parteiübergreifender Eintracht machbar, ging der Rat ans Werk. Die Freude darüber war so groß, dass sogar Mitglieder der SPD-Stadtratsfraktion, die gerade ihre Ratsmehrheit an die Grünen verloren hatte, nach nur wenigen Wochen zufrieden feststellten, wie wunderbar harmonisch doch alles laufe.
◼︎ Große Erwartungen an neue Ratsvorsitzende
Dies sollte sich auch in der neuen Ratsvorsitzenden Jule Grunau (Grüne) spiegeln, die – nach gutem Brauch – auf Vorschlag der Mehrheits-Fraktion von nahezu allen Stadtratsfraktionen ins Amt gehoben worden war. Doch anders als ihre Vorgänger Wolf von Nordheim (Grüne) und Christel John (CDU), die sich noch mit Mädge als gewieftem Kämpfer in eigener Sache herumschlagen mussten, brachte Grunau einen deutlichen Vorteil mit: Als Grüne hat sie das gleiche Parteibuch wie die neue Chefin im Rathaus, Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch. Wohlwollende gegenseitige Unterstützung von Ratsvorsitz und Rathaus liegt da auf der Hand.
Aber auch der Rat schien von der jungen Frau durchaus angetan zu sein. Grunaus klare Sitzungsführung überzeugte viele, in ruhigem und gesetztem Ton moderierte sie fortan die Sitzungen.
◼︎ Ratsmitglieder kuschen
Erst allmählich aber zeigte sich, dass es in den Sitzungen zwar gesittet und geordnet zugeht – überlange Redebeiträge werden von der Ratsvorsitzenden im Keim erstickt –, eine lebendige Debattenkultur sich aber nicht mehr einstellen will. Auch, weil es für die Ratsmitglieder stets ein Angehen ist, wenn sie sich zu Wort melden wollen. Denn es gibt nur ein einziges Saalmikrofon. Wer etwas sagen will, und sei es eine kurze Nachfrage, muss sich auf den Weg nach vorn machen. Das würgt nicht nur jede aufkommende Debattenstimmung ab, es lässt auch jeden Besucher einer Ratssitzung ermüdet zurück. Und es führt dazu, dass auf den einen oder anderen Einwurf aus den Reihen der Fraktionen gleich ganz verzichtet wird.
Zugleich aber fällt die Ratsvorsitzende inzwischen zusehends durch formale Strenge auf. Unnachgiebig schreitet sie ein, wenn bei Reden Zwischenrufe aus den Fraktionsreihen ertönen. "Bitte unterlassen Sie den Zwischenruf", wird es dann monoton aus dem Grunau-Mikrofon – die Ratsvorsitzende verfügt über ein eigenes – in den Raum übertragen. Mit Erfolg, die Anweisung verfehlt ihren Zweck nicht. Mucksmäuschenstill kuschen die Ratsmitglieder, nicht einmal mehr AfD oder CDU mucken noch auf.
◼︎ Übergriffige Bevormundung
Inzwischen aber scheint sich angesichts der teils übergriffigen Bevormundung durch die Ratsvorsitzende Unmut breit zu machen. Die Frage: Warum sollten Zwischenrufe nicht möglich sein, insbesondere dann, wenn damit ein neuer Gedanke in die Diskussion eingebracht oder ein falscher korrigiert wird? Ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung jedenfalls wäre es nicht. Im Gegenteil: Im Bundestag und in den Landesparlamenten werden Zwischenrufe sogar protokollarisch notiert, eben weil damit auch die Atmosphäre einer Debatte für die Nachwelt festgehalten werden soll.
Hinter vorgehaltener Hand wird daher auch mehr und mehr Kritik an der Ratsvorsitzenden geäußert. Zwar sind zügellose Sitzungen weiter von niemandem erwünscht, doch dürfe dies nicht dazu führen, dass keine lebendigen Diskussionen stattfinden. "Wenn ein spontaner Einwurf auf eine gerade gehaltene Rede erst dann möglich ist, wenn die Rede zuende ist und man dann nach Worterteilung durch die Ratsvorsitzende auch noch den Weg zu dem weit entfernten Saalmikrofon suchen muss, dann erstirbt jede lebendige Diskussion und damit ein wichtiger Zweck einer Ratssitzung", ist von einem Ratsmitglied zu hören.
◼︎ Kein Platz für Bürgernähe
Das Fehlen einer lebendigen Streitkultur mit Zwischenrufen dürfte aber auch über den Rat hinaus für Frust sorgen, allen voran bei denen, die den mühsamen Weg zu den Ratssitzungen nicht scheuen. Denn seit längerer Zeit schon finden diese nicht mehr im Rathaus statt, sondern im "Kulturforum Wienebüttel", jenem scheunenartigen Gebäude abseits am Stadtrand. Wie dies mit der vielbeschworenen Bürgernähe zusammenpasst, ist ein anderes Thema.