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Ein Abriss mit Folgen

Wie aus einem denkmalgeschützten Wintergarten ein Politikum wurde – aufgezeichnet in sechs Akten

Die Villa Heyn an der Altenbrückerstorstraße. Foto: LGheuteLüneburg, 12.10.2023 - Wie schnell sich aus einer vermeintlich denkmalgerechten Sanierung ein wahrer Polit-Krimi entwickeln kann, ist derzeit in Lüneburg zu beobachten. Anlass ist der Rauswurf des grünen Ratsmitglieds Wolf von Nordheim aus der Lüneburger Stadtratsfraktion. Im Kern aber geht es um die Frage, ob die Stadtverwaltung im Zusammenhang mit dem Verkauf einer stadteigenen Immobilie korrekt gearbeitet und korrekt Auskunft gegeben hat. Vieles spricht dagegen.

Anlass ist die derzeit laufende Sanierung der Villa Heyn an der Altenbrückertorstraße. Die Stadt hatte das Gebäude an den Lüneburger Immobilienunternehmer Jürgen Sallier und seine geschiedene Ehefrau verkauft, der Rat stimmte im Februar 2018 zu. Sallier, so die Stadtverwaltung, wolle dort eine Außenstelle der Leuphana mit Hörsaal und Gästezimmern errichten – ein Vorhaben, von dem Leuphana-Präsident Sascha Spoun offenbar nichts wusste, wie Wolf von Nordheim gegenüber LGheute erklärt. Dabei bezieht er sich auf ein Telefonat, das er am 31. März dieses Jahres mit dem Uni-Präsidenten geführt habe. Darin habe Spoun ihm mitgeteilt, dass die Universität "dies nicht bestellt" habe, es sei "Salliers Projekt". Auch eine schriftliche Vereinbarung gäbe es seines Wissens nicht, wie Spoun weiter erklärt habe, erst recht keinen Vertrag zwischen den Salliers und der Uni. 

Wie aber kommt es dann zu der gegenteiligen Behauptung der Stadtverwaltung? Die Erklärung könnte ein paar Jahre zurückliegen. Denn dem Verkauf der Villa gingen offenbar Entscheidungen im Lüneburger Rathaus voraus, die rückblickend erhebliche Zweifel an der Korrektheit des Verwaltungshandelns aufkommen lassen. Ein Vorgang, dargestellt in sechs Akten.

1. Akt: Das Bieterverfahren

Vor dem Verkauf der Villa an die Salliers gab es 2016 bereits ein erstes Bieterverfahren. Der Lüneburger Arndt von Lieberman ging daraus als Meistbietender hervor. Er wollte die Villa privat für sich nutzen und ging mit 886.000 Euro als Meistbietender aus dem Verfahren hervor. 

Doch trotz eines Ratsbeschlusses, mit dem das oberste Gremium der Stadt den Verkauf an von Lieberman im Januar 2017 abgesegnet hatte, ging dieser leer aus. Eigenmächtig hatte sich die Stadtverwaltung – damals noch unter der Leitung von Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD) – über den Ratsbeschluss hinweggesetzt, angeblich, weil sich der Bewerber „nicht mehr in der Lage gesehen habe, sein Angebot aufrechtzuerhalten", wie von der Stadtverwaltung behauptet und in Ratsvorlage VO/7582/17 festgehalten. 

Tatsächlich aber hatte von Lieberman lediglich eine Anpassung des Kaufpreises gefordert, nachdem er sich durch die Stadt getäuscht sah: Sie hatte im Verkaufsexposé nicht auf das fehlende Wegerecht hingewiesen, ohne das ihm die umfängliche Nutzung des Grundstücks aber verwehrt war, wie er nach Angebotsabgabe durch Forderungen Dritter erfahren musste. 

2. Akt: Der Verkauf

Die Stadtverwaltung jedenfalls nutzte die Gelegenheit, unter Ausschluss von Liebermans die Villa noch ein zweites Mal anzubieten. Das Rennen machten dieses Mal die Salliers, obwohl sie mit ihrem Höchstgebot – die Rede ist von 650.000 Euro – weit unter dem ursprünglichen Lieberman-Angebot lagen. 

Doch nicht nur dies. Ihnen wurde obendrein gestattet, was zuvor per Ratsbeschluss zum Verkauf an von Lieberman noch explizit untersagt war: so durften Teile des Gebäudes nun abgerissen und auch der Garten für eine Bebauung genutzt werden. Nebenbei: Der Garten ist FFH-Gebiet entlang der Ilmenau, weshalb andere Anrainer ihre Gartenlauben abbauen müssen. 

Salliers fanden überdies einen Weg, sich von der kostspieligen Pflicht zur Sanierung der eingestürzten Kaimauer zu entbinden. Sie legten ein Gutachten vor, das die Wiederherstellung der Kaimauer als schädigend für den Wurzelbereich der geschützten Rotbuche auf ihrem Grundstück erklärt. Und auch das Wegerecht-Problem wurde gelöst: Sie kauften das Nachbargrundstück plus Haus. 

Bemerkenswert: Obwohl von Lieberman von der zweiten Bieterrunde ausgeschlossen war, tauchte er in der Bieterliste dennoch auf, noch dazu mit einem angeblich niedrigeren Angebot als das der Salliers – ein Vorgang, den sich der Lüneburger nicht erklären kann. "Auf OB-Entscheidung war ich ja von weiteren Geboten ausgeschlossen.  Wer und wann für mich im zweiten Bieterverfahren ein Angebot abgegeben haben soll, kann ich aus meinen archivierten Unterlagen nicht entnehmen", teilt von Lieberman in einer schriftlichen Erklärung mit, die LGheute vorliegt. Er selbst habe an seinem ersten Angebot weiter festgehalten.

3. Akt: Der Abriss

Was sich bislang noch in den Ratsgremien der Stadt und im Halbdunkel der Gänge des Lüneburger Rathauses abspielte, erreichte 2022 mit dem Abriss des sogenannten "Wintergartens" der Villa  – in den Bauplänen wird dieser Raum korrekter Weise stets als "Gartenzimmer" bezeichnet – plötzlich das Interesse der breiten Öffentlichkeit. Die Frage war: Wie kann es sein, dass Teile eines denkmalgeschützten Gebäudes abgerissen werden können und gleichzeitig von "denkmalgerechter Sanierung" gesprochen werden darf?

Die Öffentlichkeit zeigte sich zunehmend empört, gespeist vor allem durch eine akribische Untersuchung von Dr. Werner Preuß, über die in der "Landeszeitung" berichtet wurde. Preuß konnte nachweisen, dass der inzwischen abgerissene "Wintergarten" von Beginn an fester Bestandteil der Villa war und nicht, wie von der Verwaltung behauptet, erst  1933 nachträglich inclusive Veranda abgebaut worden sei. 

Die Vorgänge an der Altenbrückertorstraße brachten auch den Wittorfer Immobilienmakler Erich Schulz auf den Plan. Er hatte sich für eine Lüneburger Investorengruppe in der ersten Bieterrunde ebenfalls um den Erwerb der Villa bemüht und zeigte sich über den Abriss empört, wie die "Landeszeitung" berichtete. Im Januar dieses Jahres wandte er sich deshalb mit einer Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerde an das zuständige Wissenschaftsministerium in Hannover. Das Ministerium ging daraufhin der Sache nach und bat, wie üblich in solchen Fällen, die Stadt um Stellungnahme. 

4. Akt: Ein kritischer Ratsherr

Das Lüneburger Rathaus kam in Erklärungsnot. Denn auch das Wissenschaftsministerium hatte inzwischen die Unrechtmäßigkeit des Abrisses bestätigt, aus Hannover drohte ein möglicher Baustopp. 

Um ihr Vorgehen dennoch rechtfertigen zu können, stützte sich die Stadtverwaltung neben der inzwischen widerlegten Behauptung, der Wintergarten sei nachträglich angebaut worden und stehe deshalb nicht unter Denkmalschutz, unter Bezug auf das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz auf zwei weitere Punkte: 

1. der Umbau erfolge im öffentlichen Interesse 
2. der Abriss sei für den wirtschaftlichen Betrieb der Immobilie durch den Käufer unabdingbar.

"Nichts davon trifft zu", sagt Wolf von Nordheim. Der Grünen-Politiker war zum Zeitpunkt des Verkaufs nicht nur Vorsitzender des Lüneburger Stadtrats, er war auch stellvertretender Vorsitzender des Bauausschusses und hatte den Verkauf der Villa von Beginn an verfolgt. 

Als die Wogen wegen des Abrisses im Sommer letzten Jahres höher schlugen, hatte er im Bauausschuss das Rathaus um Aufklärung in der Sache gebeten, auch mit gleichem Schreiben bei Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch direkt nachgefragt, wie er versichert. Die Verwaltung reagierte schließlich am 30. September 2022 mit einem 17-seitigen Schreiben, in dem sie die angebliche Rechtmäßigkeit ihres Handelns darlegte – und im Kern ihre bereits benannten und widerlegten Begründungen anführte.

Wolf von Nordheim überzeugte dies nicht: "Das Gartenzimmer plus Veranda stand sehr wohl, wie inzwischen bestätigt wurde, unter Denkmalschutz, da es mit dem Gebäude in Massivbau errichtet wurde. Zweitens ist ein öffentliches Interesse seit sechs Jahren nicht belegt, da es bis heute keinerlei schriftliche Vorvereinbarung oder gar Vertrag zwischen der Leuphana und den Salliers zur Verwirklichung des Uni-Projekts gibt; bisher wurde es nur im April 2019 aufwändig in der Presse präsentiert."

Damit, so von Nordheim, falle aber auch die weitere von der Stadtverwaltung angeführte Zulässigkeit eines Abrisses aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeit weg: "Die nur durch Abbruch und Anbau realisierbare wirtschaftliche Nutzung des Denkmalschutzobjektes ist eine durch nichts belegte Behauptung, die sich die Stadtverwaltung ohne Prüfung zu eigen machte. Seit dem Kauf bis heute fehlt jeglicher Vertrag über Anmietung oder Verpachtung, jede Angabe über Preis und Dauer." Dies, so von Nordheim, rechtfertige in keiner Weise das Zuwiderhandeln gegen die klaren Bestimmungen des Denkmalschutzes. 

5. Akt: Die Kommunalaufsicht

Irritiert über die plötzliche Brisanz, die der Abriss inzwischen auch landespolitisch ausgelöst hatte, schaltete die Stadtverwaltung nach eigenen Angaben Ende Februar die Kommunalaufsicht in Hannover ein. Diese sollte per Prüfauftrag klären, ob die Entscheidungsprozesse im Lüneburger Rathaus in dieser Sache korrekt gewesen seien. So jedenfalls soll es die Stadtverwaltung gegenüber der grünen Stadtratsfraktion am 27. Februar und erneut am 20. März dieses Jahres dargestellt haben, wie Wolf von Nordheim anhand der Sitzungsprotokolle nachweisen kann.

Aus Hannover aber kam dazu nichts. Mitte Juni schließlich hakte von Nordheim bei der Kommunalaufsicht nach. "Doch dort war von einem Prüfauftrag der Stadt nichts bekannt", so der Grünen-Politiker. 

Wolf von Nordheim, für sein bisweilen hartnäckiges Nachbohren in der Politik bekannt, wandte sich daraufhin mit einem "Bericht" selbst an die Kommunalaufsicht und bat um Überprüfung der von ihm geschilderten Verwaltungsvorgänge auf mögliche Rechtsfehler. Dabei, so versichert er, gehe es ihm nicht darum, das Rathaus anzuschwärzen, "ich will durch meine Arbeit und meinen Bericht von dritter Seite geklärt wissen, ob und wenn ja was hier nicht korrekt gelaufen ist. Das ist meine Pflicht als Ratsherr".

6. Akt: Die Fraktion

In der grünen Stadtratsfraktion kam das allerdings nicht gut an. Denn dort hatte man zuvor – auch mit Zustimmung von Nordheims – beschlossen, die Sache vorerst ruhen zu lassen, schließlich liege der Vorgang ja nun bei der Kommunalaufsicht. Weil von Nordheim aber, nachdem eine Reaktion aus Hannover ausblieb, dort nachgehakt und dem Ministerium anschließend seinen Bericht zugeleitet hatte, warf die Fraktion ihm, wie der "Landeszeitung" zu entnehmen war, Illoyalität vor – schließlich wird das Rathaus mit Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch seit 2021 grün regiert. Das Ergebnis ist bekannt: Die Fraktion warf ihn daraufhin kurzerhand raus (LGheute berichtete). 

Dagegen geht er nun anwaltlich vor, beim Verwaltungsgericht Lüneburg hat er einen Eilantrag auf Wiederherstellung seiner Fraktionsmitgliedschaft gestellt. 

Unterdessen treibt ihn eine weitere Frage um, die das Rathaus betrifft: "Ohne erkennbare Not verstrickt sich das Rathaus in Widersprüche, für die es unter seiner jetzigen Oberbürgermeisterin ja eigentlich nicht verantwortlich ist. Warum geschieht es trotzdem?" 

Allein schon aus diesem Grund denkt von Nordheim nicht ans Aufgeben. "Ich werde mindestens so lange Ratsmitglied bleiben, bis die Vorgänge um die Villa Heyn aufgeklärt sind." Was darunter genau zu verstehen ist, ließ er offen. Auf eine erste Antwort der Kommunalaufsicht auf seinen Bericht, die ihm offenbar nicht ausreichend erschien, reagierte er prompt und schickte eine Auflistung aller darin nicht beantworteten Fragen nach Hannover. Ausgang offen. 

 

 

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