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Es begann schon viel früher

Aktion am Marktplatz zeigt auf: Der Reichspogromnacht in Nazi-Deutschland ging vieles voraus

Eine beeindruckende Aktion: die Tafel-Ausstellung am Lüneburger Marktplatz. Foto: LGheute Lüneburg, 10.11.2023 - Jeweils am 9. November wird bundesweit der Opfer der Reichspogromnacht von 1938 gedacht, in der Synagogen in Brand gesetzt, Geschäfte jüdischer Mitbürger geplündert und zerstört, Juden überfallen und misshandelt wurden. Es war der Auftakt zu dem späteren Völkermord, der unter Nazi-Deutschland an mehr als sechs Millionen europäischer Juden begangen wurde. Der Weg dorthin aber begann schon deutlich früher, wie eine eindrucksvolle Aktion gestern auf dem Lüneburger Marktplatz zeigte.

"Schriftleiter kann nur sein, wer arischer Abstammung und nicht mit einer Person nichtarischer Abstammung verheiratet ist." Diese Zeilen sind auf einer der insgesamt 45 Tafeln zu lesen, die, jede nicht größer als eine DIN-A-4-Seite, dicht an dicht zwischen den Bäumen am Rande des Marktplatzes an einer Leine hängen.

Die Zeilen entstammen dem sogenannten Schriftleitergesetz, das am 4. Oktober 1933 in Kraft trat. Auf einer anderen Tafel heißt es: "Nichtarier dürfen den Kriegervereinen, welche dem Kyffhäuser-Bund angeschlossen sind, nicht mehr angehören." Beschlossen im September 1933. Und wiederum auf einer weiteren Tafel steht: "Ich ersuche, Nichtarier künftig nicht mehr als Jockeis oder Herrenreiter und nicht mehr als Fahrer oder Herrenfahrer zuzulassen." Datum: September/Oktober 1933.

Etwas verloren zappeln die Tafeln an dem nasskalten Tag im Wind, doch ihre Wirkung auf den Betrachter verfehlen sie nicht. Sehr schnell wird deutlich, dass die Judenverfolgung viel früher begann, als vielen heute bewusst ist. Schon gleich nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933, bei der die NSDAP 43,9 Prozent erzielte, wurden die ersten Fundamente zur Allein- und Gewalt-Herrschaft der Nazis errichtet: unter anderem mit dem "Ermächtigungsgesetz" (23.03.1933), mit dem Verbot von Gewerkschaften (02.05.1933), mit dem Vorläufigen Gesetz zur "Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" (31.03.1933), mit dem Gesetz gegen die "Neubildung von Parteien" (14.07.1933), mit dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund (14.10.1933) und dem "Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" (01.12.1933), mit dem Deutschland endgültig einem Einparteiensystem unterworfen wird. Alles bereits 1933.

Die "Reichskristallnacht", wie die Pogromnacht in der zynischen Sprache der Nationalsozialisten genannt wurde, erfolgte erst fünf Jahre später, doch da war das Schicksal der Juden und längst besiegelt.

Immer wieder bleiben Passanten vor den Tafeln stehen, einige finden auch das Gespräch mit einem der Mitglieder der VVN-BdA. "Es geschah nicht erst am 9. November 1938" heißt die Ausstellung, die von der Lüneburger Gruppe der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) entwickelt wurde und betreut wird. "Wir haben für die Ausstellung nur die Daten herausgesucht, die für den Raum Lüneburg relevant sind", sagt der Lüneburger Peter Asmussen, "insgesamt aber gab es Tausende solcher Verordnungen." 

Auch im kommenden Jahr sollen die Tafeln wieder gezeigt werden.

 

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