Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts stellt klar, dass Zurückweisungen von Flüchtlingen an der deutschen Grenze zulässig sind
24.01.2025 - Die Reaktion war abzusehen: Kurz nachdem der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Friedrich Merz nach der Messerattacke in Aschaffenburg angekündigt hatte, als Bundeskanzler keine illegalen Migranten mehr ins Land zu lassen, war die Empörung bei SPD und Grünen groß. Ihr Vorwurf: Die CDU missbrauche das Thema für ihren Wahlkampf, außerdem verstieße sie damit gegen EU-Recht und das Grundgesetz. Stimmt nicht, sagt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier.
Die deutschen Grenzen kontrollieren und sie für alle schließen, die nicht EU-Bürger sind und keine gültigen Einreisepapiere haben. Das ist einer der Punkte, die Friedrich Merz gestern nach der Messerattacke von Aschaffenburg – bei der ein 28-jähriger Afghane ohne Bleiberecht ein zweijähriges Kind und einen 41 Jahre alten Mann tötete und weitere Personen verletzte – für seinen ersten Amtstag als Bundeskanzler ankündigte.
Das allein war offenbar schon Provokation genug, jedenfalls brachte es SPD-Frontmann Ralf Stegner – "Der tut so, also sei er schon Kanzler" – im Nachrichtensender "Welt TV" gleich in Rage. Es gehe, so Stegner, nicht an, "Dinge in die Welt zu setzen, von denen wir wissen, dass sie nicht stimmen". Denn der SPD-Politiker wie auch Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, behaupten, die Merz-Ankündigungen seien rechtlich gar nicht zu halten, da sie gegen EU-Recht und gegen das Grundgesetz verstoßen. "Das haben Merz mehrere Experten im Bundesinnenministerium und auch im Bundesjustizministerium bescheinigt", erklärte Mihalic in "Welt TV". Sie wie auch andere Politiker von SPD und Grünen beziehen sich dabei stets auf die sogenannte Dublin-III-Verordnung im Europäischen Recht, wonach jedem Ausländer, der Asyl beantragt, die Einreise zustehe.
Doch stimmt das auch? "Welt TV", bekannt dafür, Meinungen und Gegenmeinungen aufzuzeigen und bei kontroversen Themen stets auch Fachleute zu Wort kommen zu lassen, wollte es genau wissen und befragte dazu am Nachmittag Prof. Hans-Jürgen Papier. Hier die Erläuterungen des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, warum das Festhalten von SPD und Grünen an dem Vorrang des Europäischen Rechts vor dem nationalen Recht keine Grundlage hat. Die gefetteten Passagen wurden von der Redaktion vorgenommen und dienen der Hervorhebung besonders markanter Aussagen.
"Ich habe schon seit geraumer Zeit die Ansicht vertreten, dass eine solche Zurückweisung an den deutschen Binnengrenzen ohne Weiteres zulässig ist. Paragraph 18 des Asylgesetzes sagt ganz klar, Ausländer, die aus sicheren Drittstaaten einreisen in die Bundesrepublik Deutschland, sind zurückzuweisen – gewisse Ausnahmen sind dort geregelt, die aber jetzt nicht zur Debatte stehen.
Nun wird gesagt, diese Vorschrift ist eigentlich obsolet, denn Europarecht besagt das Gegenteil und Europarecht hat Vorrang. Ich lass' mal dahingestellt, ob das wirklich zutrifft. Das Europarecht, insbesondere die Dublin-III-Verordnung, gebietet, jedem Ausländer die Einreise nach Deutschland zu gestatten, der angibt, Asyl in Deutschland beantragen zu wollen, auch wenn ein solches Asylrecht in Deutschland ersichtlich nicht zu gewähren ist. Aber selbst wenn das Recht der Europäischen Union, insbesondere also die Verordnung Dublin III, dies gebieten würde nach Auffassung vieler Rechtsexperten, die jetzt in gewisser Eindeutigkeit besagen oder erklären, dass das Europarecht dies so gebietet, dann muss ich sagen, Europarecht kann und darf eine solche rigorose Einschränkung der deutschen Souveränität gar nicht anordnen.
Sicherlich hat Europarecht grundsätzlich Vorrang vor dem nationalen Recht, also auch etwa vor dem Paragraphen 18 Asylgesetz. Aber: Dieser Vorrang hat, insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Grenzen. Es darf nicht dazu kommen, dass Europarecht die Grundsätze der rechtsstaatlichen Demokratie des Mitgliedsstaates Bundesrepublik Deutschland tangiert oder aushöhlt. Und zu diesen Grundsätzen der rechtsstaatlichen Demokratie gehört zuallererst die Wahrung des Kernbereichs der staatlichen Souveränität. Diese staatlichen Souveränität besagt meines Erachtens ziemlich eindeutig, dass ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union nicht kraft Europarecht gezwungen sein kann, allen Personen, woher sie auch immer kommen mögen, die Einreise zu gestatten, nur weil sie vorgeben oder angeben, Asyl beantragen zu wollen in Deutschland, auch wenn ersichtlich die Bundesrepublik Deutschland für einen solchen Asylantrag gar nicht zuständig ist oder der Asylantrag aus sachlichen Gründen offensichtlich aussichtslos ist.
Also, wenn Europarecht so ausgelegt wird und auch von den Europäischen Gerichten so gehandhabt wird, dann verletzt das meines Erachtens diese von der deutschen Verfassung aufgerichtete Integrationsschranke, verletzt gewissermaßen den Kernbereich der staatlichen Souveränität Deutschlands. Und da muss ich ganz ehrlich sagen: Das Vertragsrecht der Europäischen Union, also salopp gesagt das Europäische Verfassungsrecht, trägt dem ja auch eindeutig Rechnung. Denn Artikel 72 des Vertrags über die Europäische Arbeitsweise – dem grundlegenden Vertrag über die Verfassung der Europäischen Union – besagt, dass die Vorschriften des Europarechts über die Innere Sicherheit und damit auch über Asyl die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten zur Wahrung der Öffentlichen Ordnung und der Inneren Sicherheit unberührt lassen. Das heißt, dieser Souveränitätsaspekt der Mitgliedsstaaten, darüber zu entscheiden, wer, wann und wieviele Personen nach Deutschland einreisen dürfen, dieses grundlegende Souveränitätsrecht eines souveränen Mitgliedsstaates – und die Europäische Union ist ein Staatenverbund souveräner Staaten – wird also vom Vertragsrecht durchaus geachtet. Es ist also mehr das sogenannte sekundäre Recht, was hier immer wieder angeführt wird von 'Rechtsexperten', die inzwischen durch insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien herumwandern, die also genau das Gegenteil sagen wollen.
Ich bitte zu beachten, dass wir hier verfassungsrechtliche Grundsatzfragen anschneiden und nicht mit einer sehr vorschnellen Interpretation des Europäischen Sekundärrechts die Grundsätze der staatlichen Souveränität eines Mitgliedsstaates infrage stellen dürfen. Denn man muss das vor dem Hintergrund sehen, dass mit der Einreise ganz offensichtlich – und wir haben ja Erfahrungen über Jahre jetzt gewonnen – ein jedenfalls faktisch zeitlich unbegrenzter Aufenthalt verbunden ist. Alle Bemühungen um Abschiebungen oder Zurückführungen in die an sich zuständigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union scheitern. Das, was wir hier jetzt als Vorgeschichte zu den tragischen und schrecklichen Begebenheiten und Anschlägen erlebt haben, dass ausreisepflichtige Personen nicht ausreisen, das ist doch der Regelfall, das ist nicht die Ausnahme."