Warum Lokalzeitungen mehr sein sollten als Sprachrohre von Pressestellen und Rathäusern
21.07.2024 - Qualitätsjournalismus ist ein großes Wort. Wer es im Munde führt und sich seine journalistische Arbeit auch noch dafür vergüten lässt, gibt ein Versprechen ab. Das Versprechen, genau hinzuschauen, nachzuhaken, wo Zweifel angebracht sind und Fragen im Raum stehen, die auf Antworten warten. Dann, und nur dann, ist es gerechtfertigt, sich dieses Qualitätsmerkmals zu bedienen. Die schlichte Wiedergabe dessen, was steuerbezahlte Mitarbeiter in den Pressestellen von Rathäusern, Landes- und Bundesbehörden oder selbsterklärte Wichtig-Organisationen und Parteien tagein, tagaus herausposaunen, ist alles Mögliche, nur eben kein Journalismus – und schon gar kein Qualitätsjournalismus. Oft fängt es schon im Kleinen an, wie in Lüneburg immer häufiger zu beobachten ist.
Wer die "Landeszeitung" von diesem Wochenende aufblättert, bekommt einen Eindruck davon, was Qualitätsjournalismus nicht ist. Es beginnt mit einer schlichten, aber deswegen nicht minder falschen Aussage auf Seite 2. Dort ist ein Foto von der nächtlichen Großen Bäckerstraße zu sehen, die die Redakteure der "LZ" ihren Lesern als Grapengießerstraße verkaufen. Nicht schlimm? Doch, durchaus, erst recht für eine Lokalzeitung. Denn jeder "LZ"-Leser fragt sich: Wenn schon diese einfache Zuordnung nicht klappt, was ist dann womöglich noch alles falsch in diesem Blatt? Bei der Falschangabe einer Straße kann sich der lokalkundige Leser noch selbst ein Urteil bilden. Wie aber steht es mit Angaben etwa zu Haushaltszahlen, zu wichtigen Abstimmungsergebnissen im Rat oder Kreistag, zu Kosten über neue Stadtmöbel oder den Weiterbau der A39? Stimmt das, was da schwarz auf weiß steht, wirklich?
Ein weiteres Beispiel erwartet den Leser auf Seite 5. Dort gibt es einen ausführlichen Bericht über den Leerstand von Geschäftshäusern in der Lüneburger Innenstadt. Doch er lässt den informierten Leser irritiert zurück, denn anders als in dem "LZ"-Bericht wiedergegeben ist nichts von dem, was die Journalistin sich von ihren Gesprächspartnern aus der Lüneburger Stadtverwaltung erzählen lässt, wirklich neu. Es wird ihr nur als neu verkauft. Das ist das gute Recht jeder Presseabteilung, nur: Qualitätsjournalismus sieht anders aus. Der hakt nach, kennt die Vorgeschichten und die Hintergründe und konfrontiert die Akteure und Gesprächspartner mit früheren, oftmals gleichen Ankündigungs-und Beschwichtigungs-Aussagen – professionell eben. An dieser Stelle sei deshalb eine erfrischend wohltuende und treffsichere Analyse meines früheren LZ-Kollegen Carlo Eggeling zu genau diesem "LZ"-Artikel empfohlen, nachzulesen hier.
Das Problem dieser Art des "LZ"-Journalismus: Wenn beim Leser Zweifel über die professionelle Neutralität und gebührliche Distanz einer Zeitung zu ihren Berichts-Gegenständen aufkommen, ist meist schon viel verloren. Denn Leser erwartern zu recht von einer Lokalzeitung, noch dazu von einer, die ihre regelmäßigen Preiserhöhungen vor allem mit den hohen Kosten eines Qualitätsjournalismus' begründen, dass auch stimmt, was sie ihren Lesern verkauft.
Nebenbei: Wer sich die "LZ" nicht mehr leisten kann oder mag – Qualitätsjournalismus hat eben seinen Preis – kann ohne allzu große Einschnitte auf die kostenlose "LünePost" umsteigen. Denn dort sind seit Neuestem einige der Artikel, die in der Bezahl-"LZ" abgedruckt sind, ebenfalls zu finden.