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Aufgelesen: Wenn die Meinung nicht mehr passt

75 Jahre GG: Freie Meinungsäußerung ist in Deutschland ein Grundrecht. Doch es wird immer wieder ausgehöhlt, sogar von der Bundesregierung

Foto: LGheute19.05.2024 - Wenn in diesen Tagen anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von politischer Seite überall der hohe Wert dieser Verfassung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung betont wird, lohnt es, auch mal genauer hinzuschauen. Einer, der das regelmäßig macht, ist Joachim Steinhöfel. In einem Interview mit der "NZZ" erhebt der Anwalt für Wettbewerbs- und Medienrecht schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung. Auch die Rechercheplattform "Correctiv" kommt nicht gut weg. 

"Auf mich wirken die Mitarbeiter wie Erfüllungsgehilfen der Regierung. Correctiv erhält Millionenzuschüsse vom deutschen Staat, und man beisst natürlich nicht die Hand, die einen füttert", sagt Steinhöfel in dem heute erschienenen Interview der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) über die Rechercheplattform "Correctiv". Darin kritisiert er aber nicht nur die Ausrichtung dieser Plattform, er bezeichnet sie auch als "tendenziöse Organisation, die oft mangelhaft arbeitet". Sie habe mit sogenannten Faktenchecks "mehrfach" gegen Wettbewerbsrecht verstoßen und die journalistische Leistung anderer Publikationen in "nicht mehr hinnehmbarer Weise" herabgesetzt. Dies sei zudem kein Einzelfall und dieses Vorgehen dürfe "nicht noch mit dem Privileg der Gemeinnützigkeit oder durch Steuergelder gefördert werden".

Problematisch sei weiter, dass von "Correctiv", das bei seinen Faktenchecks auch mit Facebook zusammenarbeitet, häufig lediglich Meinungen gecheckt würden. "Meinungen können aber nicht falsch sein", so Steinhöfel. Auf jeden Fall könne es nicht sein, dass "Correctiv" es ist, der in einer freiheitlichen Gesellschaft entscheidet, was wahr und was unwahr ist.

◼︎ Kritik an "staatsaffinen" NGOs

Einen fragwürdigen beziehungsweise rechtswidrigen Umgang mit Meinungsäußerungen stellt der Medienanwalt auch in Teilen der Bundesregierung fest. So gehe besonders der deutsche Staat noch autoritärer gegen Kritiker vor als früher. "Er schüttet zum Beispiel staatsaffine NGO mit Geld zu, die letztlich nichts anderes tun, als Meinungen, die nicht staatsaffin sind, zu delegitimieren oder in irgendeiner Weise unter Druck zu setzen."

Ein besonders krasses Beispiel der Meinungsunterdrückung von staatlicher Seite sieht Steinhöfel in dem Versuch der Bundesregierung, die Meinungsäußerung des Journalisten Julian Reichelt gerichtlich untersagen zu lassen. Der frühere "Bild"-Chef hatte die kürzlich wieder aufgenommene Entwicklungshilfe der Bundesregierung für Afghanistan – laut "Spiegel" 371 Millionen Euro – hart kritisiert und in diesem Zusammenhang von einem "Irrenhaus" gesprochen. Er wurde daraufhin vom SPD-geführten Entwicklungshilfeministerium abgemahnt, das Kammergericht Berlin verbot ihm die Kritik.

Dagegen wehrte sich Reichelt erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Urteil des Kammergerichts habe die Meinungsfreiheit verletzt, so das oberste deutsche Gericht. Denn: "Reichelts Aussage ist keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinungsäußerung", so Steinhöfel. Der Staat habe als Kläger, anders Bürger, keine Grundrechte. "Er hat keine Menschenwürde, keine Ehre, keine Meinungsfreiheit, weil er keine natürliche Person ist. Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat." Eben auch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung.

◼︎ Ministerien ignorieren Presseanfragen 

Und Steinhöfel nennt in dem NZZ-Interview weitere Beispiele: So habe das Innenministerium den Journalisten Henryk M. Broder in einem Bericht über Muslimfeindlichkeit diskreditiert, sei damit aber vor Gericht ebenfalls nicht durchgekommen. Auch habe er erfolgreich gegen das Außenministerium von Annalena Baerbock geklagt, weil man sich dort geweigert hatte, Presseanfragen zu beantworten. Aus dem gleichen Grund stünden gegenwärtig die Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze vor Gericht. "Roths Mitarbeiter drücken Anrufe einfach weg und ignorieren Presseanfragen."

Wer mehr über die Arbeit von Joachim Steinhöfel erfahren möchte, dem sei dessen Buch "Die digitale Bevormundung" empfohlen. Darin zeigt Steinhöfel, dass Facebook, Google, X & Co. die Kommunikationsstandards von Milliarden Menschen meinen vorschreiben zu können, ohne jegliche demokratische Legitimation. Die Folge sei tausendfacher Rechtsbruch, digitale Massenvernichtung freier Rede und drastische Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Das Buch ist erschienen im Finanzbuch-Verlag, München 2024. 242 Seiten, 18 Euro.

 

 

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