Warum dieser Begriff keinen Sinn macht
06.07.2022 - Wenn es um die Folgen des Klimawandels geht, fällt häufig auch der Begriff "Klimagerechtigkeit". Gemeint ist damit, dass nach dem Verursacherprinzip diejenigen Länder, die hauptsächlich für die Erderwärmung verantwortlich sind, auch global die Verantwortung für die Folgen und Schäden des Klimawandels tragen müssen. Nicht vom Klimawandel bedrohte Inselstaaten in der Südsee, sondern Industrieländer wie Deutschland stehen demnach in der Pflicht. Das klingt plausibel, aber ist es das auch?
Abgesehen davon, dass es eine "Klimagerechtigkeit" nicht geben kann und auch noch nie gab, da einige Länder näher am Äquator, andere dafür dichter an den deutlich kühleren Polen angesiedelt sind, führt der Begriff ins Leere. Denn er lässt außer Acht, dass auch Länder wie die polynesischen Inselstaaten keine Eilande mehr sind, an denen die neuzeitlichen Errungenschaften vorübergegangen sind. Längst ist Papeete, die Hauptstadt von Französisch Polynesien, mit allem ausgestattet, was auch europäische Länder auszeichnet: komplexe Infrastrukturen mit einem mal mehr, mal weniger gut ausgebauten Straßennetz, Stromversorgung, Telekommunikation, Krankenhäuser, Schulen, Verwaltung, Tourismuseinrichtungen.
Selbst Taiohae, Sitz der Verwaltung der Marquesas-Inseln, kann mit entsprechender Infrastruktur aufwarten, ebenso die vielen anderen Inselgruppen, die längst den Luxus-Tourismus für sich entdeckt haben.
Einen großen Unterschied gibt es dennoch: Keines der Güter, die auf den südpazifischen Inseln anzutreffen sind, werden dort auch produziert. Stahl, Autos, Telefone, Computer, Kassensysteme für Supermärkte, Kühlschränke, Glühbirnen, Herzschrittmacher – all das kommt von Übersee, in der Regel aus Europa, den USA, China oder Japan. Auch Produkte der chemischen Industrie und Medikamente werden nicht im eigenen Land hergestellt, sondern müssen importiert werden.
Längst also sind die vom Klimawandel bedrohten Staaten und Länder Teil des globalen Wirtschaftssystems. Sie nutzen Produkte, die unter großem Aufwand woanders hergestellt werden und deren Entwicklung und Weiterentwicklung in den vergangenen 150 Jahren häufig mit erheblichen Entbehrungen der in den Fabriken und Manufakturen arbeitenden Menschen verbunden sind. Die industrielle Revolution in England Mitte des 19. Jahrhunderts war begleitet von extrem langen Arbeitszeiten, Kinderarbeit, Hungerlöhnen und Armut von Alten, Kranken und Schwachen. Arbeiter-Wohnungen waren teuer, dafür aber dunkel und feucht. Krankheiten und eine hohe Sterblichkeit waren die Folge. Nur langsam besserten sich die Zustände in den Industrieländern. Polynesien war davon weit entfernt.
Wenn also etwa das Lüneburger "Klimakollektiv" vollmundig die "sofortige, sozial- und klimagerechte Mobilitätswende" fordert und beklagt, dass der Klimawandel besonders diejenigen trifft, "die am wenigsten zur Krise beigetragen haben", also die bedrohten Inselstaaten, müsste das Klimakollektiv eigentlich auch den Verzicht dieser Länder auf die in den Industrieländern hergestellten Produkte fordern. Das käme einer "Klimagerechtigkeit" dann wenigstens halbwegs nahe.