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"Sie werden Ihre Abrechnungen nicht nachvollziehen können"

Gutachter berichtete beim Info-Abend in Kaltenmoor über seine Untersuchungen zum Lüneburger Fernwärme-Desaster

Prall gefüllt war der Saal im Gemeindehaus der St.-Stephanus-Kirchengemeinde beim Info-Abend zum Fernwärme-Desaster. Foto: LGheuteLüneburg, 16.04.2024 - Ging bei den Fernwärme-Abrechnungen von Avacon und Vonovia für Mieter in Kaltenmoor und anderen Lüneburger Stadtteilen im vergangenen Jahr alles mit rechten Dingen zu? Diese Frage stand im Raum bei der Informationsveranstaltung, zu der die Stadtverwaltung gestern Abend in die St.-Stephanus-Kirchengemeinde eingeladen hatte. Nach starker öffentlicher Kritik und vielen offenen Fragen hatte sie Aufklärung versprochen und einen externen Prüfer beauftragt. Gestern stellte er die Ergebnisse seiner Arbeit vor. Kritik gab es dennoch.

Es war ein Riesenpaket, das Heinz Eggesglüß den rund einhundert Teilnehmern gestern Abend im Gemeindehaus präsentierte, noch dazu ein schwer verdauliches. Eine gute dreiviertel Stunde lang referierte der von der Stadtverwaltung beauftragte Gutachter über die Bestandteile von Heizkostenabrechnungen, über rechtliche Grundlagen, Messeinrichtungen, Wärmearbeitspreise, Messpreise und andere Faktoren, die sich auf den Rechnungen finden und nahezu jeden Mieter ratlos zurücklassen. Besonderes Gewicht legte er zudem auf das Thema Preisgleitklausel und darauf, warum diese dem Lüneburger Fernwärmelieferanten Avacon Natur GmbH viele Möglichkeiten zur freien Preisgestaltung bietet.

"Sie werden Ihre Heizkostenabrechnungen nicht nachvollziehen können", war daher auch die ehrliche, wenngleich entmutigende Botschaft des Gutachters. Nur: Sein Auftrag war es, die Preisgestaltung des Lieferanten Avacon und der Vermieter Vonovia, Vestabilio und Grundstücksverwaltung Nord als Abnehmer der Avacon-Fernwärme stellvertretend für die stark geschröpften Fernwärmekunden zu prüfen. Und da hatte der Gutachter durchaus etwas zu bieten.

◼︎ 34 Nebenkostenabrechnungen untersucht

34 Nebenkostenabrechnungen hatte Eggersglüß exemplarisch unter die Lupe genommen – und teils gravierende Unterschiede festgestellt, teils bis zum Sechsfachen der bisherigen Kosten. Zwar seien Abweichungen dem Gutachter zufolge wegen individuell unterschiedlicher Bedürfnisse und Gewohnheiten der Mieter normal, für die Ausreißer nach oben aber hatte er nur eine Erklärung: "Hier kann etwas nicht stimmen, das sollte man überprüfen lassen."

Ein weiterer Kritikpunkt des Gutachters: Die Höhe der geforderten Vorauszahlungen. Hier stach vor allem Vonovia hervor. Der Wohnungsbaukonzern hatte Eggersglüß zufolge nicht nur das ohnehin kostenintensive Verbrauchsjahr 2022 als Grundlage genommen, sondern darauf sogar noch einen Zuschlag von 65 Prozent gelegt. Dies aber sei aufgrund der Preise, die bei Rechnungslegung in 2023 bereits schon wieder gefallen waren, nicht angemessen gewesen. 

◼︎ 80.000 Euro zu unrecht abgerechnet

Gutachter Eggersglüß hatte aber noch einen dritten kritischen Punkt in den Vonovia-Abrechnungen ausgemacht: einen zweiten Grundpreis. Dieser betrifft Kosten, die für die Erneuerung der Fernwärme-Übergabestelle an den Vonovia-Wohngebäuden angefallen waren. 80.000 Euro schlägt Vonovia laut Eggersglüß Jahr dafür Jahr für Jahr auf seine Mieter um. Zu unrecht, wie der Gutachter meint, da der Grundpreis Kosten betreffe, die im Rahmen der Instandhaltung anfallen und damit nicht auf den Mieter umgeschlagen werden dürften.

Gleichwohl erklärte Eggersglüß: Die Abrechnungen seinen allesamt formal korrekt gewesen. 

"Der Berg ist riesig. Aber wir werden alles nacheinander abarbeiten", sagte Alfred Schröder nach dem Bericht des Gutachters. Schröder ist neuer Ansprechpartner der Arbeitskreises Fernwärme Kaltenmoor, der noch unter der Ägide von Alt-Oberbürgermeister Ulrich Mädge 2013 ins Leben gerufen worden war und bei Fernwärme-Auseinandersetzungen zwischen Mietern und Avacon schlichtend eingreifen soll. Schröder versprach, die kritischen Punkte sowie weitere offene Punkte bei dem anstehenden Treffen mit der Stadtverwaltung anzusprechen. 

◼︎ "Avacon stärker in die Pflicht nehmen"

Ulrich Mädge, an dem Abend ebenfalls zugegen, hakte selbst noch einmal nach. Sein Punkt: Statt den kritischen Blick nur auf Vonovia zu richten, müsse Avacon selbst stärker in die Pflicht genommen werden. "Zwei Drittel der Avacon-Kunden in Kaltenmoor werden direkt von Avacon beliefert. Hier aber fehlt es deutlich an Transparenz", kritisierte Mädge. Unter anderem forderte er Aufklärung darüber, weshalb sich Avacon an den Preisen der Strombörse statt an den deutlich geringeren Marktpreisen orientiere. "Sie werden aus Düsseldorf gesteuert", warf Mädge dem anwesenden Geschäftsführer von Avacon Wasser, Alfred Schaper, mit Blick auf die Konzernmutter E.on vor.  

Zugleich richtete Mädge den Blick in die Zukunft. Mit Bezug auf Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), wonach der Gaspreis in den kommenden Jahren kräftig steigen werde, forderte Mädge ein tragfähiges Fernwärme-Konzept für die gesamte Stadt ein. "Wir alle kommen von der Fernwärme nicht weg, deshalb muss jetzt gehandelt werden", lautete sein Appell. 

◼︎ Oberbürgermeisterin kündigt weitere Schritte an

Oberbürgermeisterin Kalisch versprach, den offenen Fragen weiter nachzugehen. Zudem sollen mit einem Folge-Gutachten Fragen zur Preisgestaltung bei Avacon untersucht werden. Und Avacon-Geschäfts Alfred Schaper sicherte die Zusammenerbeit seines Unternehmens zu: "Auch uns ist Transparenz wichtig."

Kalisch kündigte weiter an, die vom Land vorgeschriebene Kommunale Wärmeplanung nicht erst 2026, sondern bereits im kommenden Jahr vorzulegen. Zudem sei in Kürze ein Treffen mit Vonovia geplant, bei dem sie alle kritischen Punkte zur Sprache bringen werde. Über die Ergebnisse und die weiteren Schritte werde sie den Rat der Stadt zeitnah informieren. Auch kündigte sie einen weiteren Info-Abend hierzu an.

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