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"Sind ja nur Senioren"

Bei der Veranstaltung zur Wahl des Seniorenbeirats muss die Stadtverwaltung viel Kritik einstecken

Rund 130 Senioren sind gestern in die Ritterakademie gekommen, als Wahlberechtigte oder als Kandidaten. Foto: LGheuteLüneburg, 08.02.2024 - Wenn von Senioren-Treffen die Rede ist, haben viele meist dies vor Augen: gemütlich plaudern bei Kaffee und Kuchen. So wird es sich wohl auch die Stadtverwaltung gedacht haben, als sie zur gestrigen Veranstaltung in die Ritterakademie einlud. Dort durften sich am Nachmittag die Kandidaten zur Delegiertenwahl für den künftigen Seniorenbeirat vorstellen. Zwar gab es auch Kaffee und Kuchen, ansonsten aber lief die Veranstaltung komplett aus dem Ruder – zum Glück für die anwesenden Senioren.

"Ich bin etwas orientierungslos, das ist hier alles etwas schwammig." Renate Claussen – sie ist eine von rund 20.000 Lüneburgern im Alter über 60, die zur Wahl des künftigen Seniorenbeirats für Lüneburg aufgerufen sind – ist mit dem Einstieg in den Nachmittag nicht zufrieden. Sie hat sich extra auf den Weg in die Ritterakademie gemacht, möchte sich "selbst ein Bild von den Kandidaten machen", wie sie sagt.

Das aber will nicht nur Renate Claussen nicht gelingen, auch viele andere, die gekommen sind, schauen hilflos in den großen Saal, wo an sechs großen Tischen jeweils etwa 15 bis 20 Personen sitzen. Unter ihnen gut die Hälfte der insgesamt 75 Kandidaten, die auf dem Stimmzettel stehen und entweder nur als Delegierte für die Seniorenbeiratswahl oder für den Seniorenbeirat selbst antreten wollen, der seinerseits nur von 60 Delegierten gewählt werden darf – ein kompliziertes Prozedere, das sich auch nach der Begrüßung und Erläuterung durch Lüneburgs Sozialdezernent Florian Forster nicht vielen im Saal erschließt. Denn Grafiken oder ähnliches, was das Verfahren verdeutlichen könnte, gibt es nicht.

◼︎ Austausch am Stadtviertel-Tisch

Auch Renate Claussen ist irritiert. "Wie geht es denn jetzt weiter?", fragt sich die Lüneburgerin, nachdem Florian Forster sich nach seiner Einführung wieder setzt und den Saal sich selbst überlässt. Denn nun soll jeder Gast sich an einen der Tische setzen, an denen auch die Kandidaten bereits Platz genommen haben, und mit diesen bei Kaffee und einem Stück Kuchen "in den Austausch kommen". Doch damit nicht genug: Die Gäste sollen sich jeweils an den Tisch ihres Stadtviertels setzen, erkennbar durch entsprechende Schilder auf den Tischen. Weil das aber Fragen und Unverständnis im Saal auslöst, heißt es von Forster nun: "Natürlich darf man sich auch an die anderen Tische setzen."

Doch nichts passiert. Im Saal kommt Unruhe auf. Renate Claussen ist verärgert, sie ist gekommen und will Informationen: worum es bei der Wahl geht, wie gewählt wird, vor allem aber, wer zur Wahl steht. "Ich möchte schon wissen, für wen ich mein Kreuz auf der Liste machen soll", sagt sie. Das sehen auch andere so. Über die Wahl sei zu wenig informiert worden, wird beklagt. Warum wurden die Kandidaten bislang nicht vorgestellt und warum gibt es auch jetzt keine Vorstellungsrunde, sondern nur Tischgespräche? Doch eine Vorstellungsrunde sieht das Konzept von Florian Forster nicht vor. 

◼︎ Seniorenbeirat greift ein

Eike Ermler, Mitglied des noch amtierenden Seniorenbeirats, erkennt die Lage und fängt die um sich greifende Ratlosigkeit im Saal ein, indem sie zum Mikrofon greift und über die Funktion und bisherige Arbeit des Seniorenbeirats berichtet: über zu wenig finanzielle Mittel – 800 Euro für den gesamten Beirat pro Jahr – und über zu wenig Einfluss im Rat der Stadt, obwohl die Senioren inzwischen ein Viertel der Lüneburger Bevölkerung stellen. Beifall im Saal. Auch schlägt Ermler, die nicht wieder kandidieren will, vor, dass doch die anwesenden Kandidaten sich persönlich kurz vorstellen sollten. Wieder Beifall. 

Aus dem Saal kommt die Frage, warum auf dem Stimmzettel die Namen und Anschriften der Kandidaten stehen: "Mich würde vielmehr interessieren, wie alt die Kandidaten sind und welchen Beruf sie ausgeübt haben oder noch ausüben." Das gebe die Wahlordnung so vor, antwortet Florian Forster. "Und wer macht die Wahlordnung?", wird nachgefragt. "Die Stadt", sagt Forster.

Inzwischen ist Eckhard Pols, CDU-Ratsherr und Mitglied im Sozialausschuss der Stadt, zu Florian Forster gegangen, der eher unbeteiligt das Geschehen verfolgt, während Eike Ermler und ihre beiden Mitstreiter vom Seniorenbeirat sich bemühen, die Fragen im Saal aufzunehmen. "Ich habe Herrn Forster aufgefordert, doch bitte mal moderierend tätig zu werden", sagt der CDU-Ratsherr, der auch Mitglied im Sozialausschuss der Stadt ist und von einer "chaotischen Veranstaltung" spricht.

◼︎ Nun kommen die Kandidaten doch zu Wort

Forster ergreift schließlich das Mikrofon, sagt, man sei hier ja "in einem sehr flexiblen Format" und stimmt der Vorstellungsrunde zu. Nun endlich kommen die anwesenden Kandidaten zu Wort, werben für ihre Ziele und erläutern, warum sie sich ehrenamtlich für die Senioren in der Stadt engagieren wollen. Und sie zeigen auf, wo aus ihrer Sicht Handlungsbedarf besteht: bei den Buslinien, im Wohnungsbau, beim Kopfsteinpflaster in der Innenstadt, aber auch in der Altenpflege und bei sicheren Abstellmöglichkeiten für E-Bikes, weil diese so oft gestohlen werden.

Was aber alle finden: Rund 20.000 Lüneburger Senioren, also ein Viertel der Lüneburger Bevölkerung, sind eine gewichtige Stimme in der Stadt, die nicht nur gehört, sondern künftig auch stärker berücksichtigt werden müsse. 

Und: Die Anwesenden zeigen sich deutlich selbstbewusster und fordern mehr Berücksichtigung und Wahrnehmung ihrer Interessen. Auch wird kritisiert, dass sich die Wahlberechtigten überhaupt auf den Weg in die Ritterakademie machen müssen, um etwas über die Kandidaten zu erfahren. Warum werden diese nicht auf der Internetseite der Stadt vorgestellt, wird gefragt. Auch, warum die ohnehin zu wenigen Informationen über den Seniorenbeirat dort so schwer zu finden sind. Und warum der Seniorenbeirat nur in zwei Ausschüssen gehört wird und nicht auch in anderen. "Wir sind doch überall betroffen!", sagt eine Teilnehmerin.

◼︎ Viele fühlen sich nicht wahrgenommen

"Wir nehmen das als Anregung mit", sagt Florian Forster ein ums andere Mal, macht aber auch deutlich, dass die Wünsche wohl erst bei der nächsten Wahl berücksichtigt werden können. Auch sei dies die erste Wahl, die in dieser Form stattfindet. Der Grund: Bislang war der Kreis der Kandidaten stets kleiner, sodass alle angetretenen Kandidaten zugleich auch als Delegierte feststanden und nicht wie dieses Mal selbst noch per Wahl ermittelt werden mussten. 

"Warum liest man davon nichts in der Zeitung?", wird mehrfach gefragt. Überhaupt fühlen viele Senioren sich mit ihren Interessen und Forderungen medial nicht ausreichend berücksichtigt, "warum werden wir nicht wahrgenommen?". "Sind ja nur Senioren", bemerkt Renate Claussen und schüttelt den Kopf. Und als Kandidat Hans-Christian Höhne aufsteht und fragt, "ist die Landeszeitung überhaupt anwesend?", bleibt es stumm im Saal. 

Nach zweieinhalb Stunden löst sich die Veranstaltung auf. Renate Claussen freut sich zwar, nun doch noch einen Eindruck von den Kandidaten bekommen zu haben, "doch zu Hause habe ich das doch alles wieder vergessen. Es wäre schön gewesen, wenn man das im Internet nochmal nachlesen könnte".

 

 

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