Pestel-Institut legt Wohnungsmarkt-Analyse vor – Baubranche fordert einfachere Standards
Hannover, 22.08.2024 - In Stadt und Landkreis Lüneburg müssen deutlich mehr Wohnungen gebaut werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Wohnungsbau-Prognose des Pestel-Instituts in Hannover. Danach braucht der Landkreis Lüneburg bis 2028 den Neubau von rund 1.320 Wohnungen – und zwar pro Jahr. Das Institut sieht gegenwärtig aber eine andere Entwicklung und spricht von einem "lahmenden Wohnungsneubau". Die Baubranche sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Bundesregierung.
"Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit – immerhin fehlen im Landkreis Lüneburg aktuell rund 1.370 Wohnungen – abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt", sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther.
Der Wissenschaftler erwartet, dass das Baupensum allerdings zurückgeht: Günther spricht von einem "lahmenden Wohnungsneubau, dem mehr und mehr die Luft ausgeht". So gab es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Angaben des Instituts im ganzen Landkreis Lüneburg lediglich für 177 neue Wohnungen eine Baugenehmigung. Zum Vergleich: 2023 waren es im gleichen Zeitraum immerhin noch 493 Baugenehmigungen. "Damit ist die Bereitschaft, im Kreis Lüneburg neuen Wohnraum zu schaffen, innerhalb von nur einem Jahr um 64 Prozent zurückgegangen", sagt Günther.
An dem Wohnungsbedarf im Kreis Lüneburg ändere auch die Zahl leerstehender Wohnungen nichts: Laut Günther registriert der aktuelle Zensus für den Landkreis Lüneburg immerhin rund 3.170 Wohnungen, die nicht genutzt werden. Das seien 3,4 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand im Landkreis. Ein Großteil davon – 1.540 Wohnungen – stehe jedoch schon seit einem Jahr oder länger leer. "Das sind immerhin rund 49 Prozent vom Leerstand. Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden."
◼︎ Auch Wohnungsleerstand notwendig
Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch notwendig. "Rund 3 Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt durchführen zu können. Aber es wird nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und an den Markt zu bringen", so das Fazit von Günther.
Denn viele Hauseigentümer halten sich nach Beobachtungen des Pestel-Instituts mit einer Sanierung zurück. Für sie sei eine Sanierung oft auch ein Wagnis. "Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutz-Auflagen – wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben", kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts. Außerdem hapere es bei vielen auch am nötigen Geld für eine Sanierung.
Weitere Gründe, warum leerstehende Wohnungen nicht vermietet werden: "Immer wieder kommt bei Erbstreitigkeiten kein Mietvertrag zustande. Und oft scheuen sich Hauseigentümer auch, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen", erläutert Günther. Für ihn steht deshalb fest: "Am Neubau von Wohnungen führt daher auch im Kreis Lüneburg kein Weg vorbei."
◼︎ Baustandards müssen gesenkt werden
Das Pestel-Institut hat die Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt. Für dessen Präsidentin Katharina Metzger macht die Untersuchung eines deutlich: "Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei." Metzger erteilt damit der Aufforderung von Klara Geywitz (SPD) eine klare Absage. Die Bundesbauministerin hatte zuletzt den Menschen, die eine Wohnung suchen, geraten, aufs Land zu ziehen.
Für die Verbandschefin vom Baustoff-Fachhandel steht fest: "Der Wohnungsbau ist auch im Kreis Lüneburg das Bohren dicker Bretter." Um voranzukommen, fordert Metzger, die Baustandards zu senken: "Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr." Es müsse ein "starkes Abspecken" bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen. Katharina Metzger warnt: "Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen – von hoch geschraubten Klimaschutzmaßnahmen, ohne die es keine Förderung gibt, bis zu Stellplätzen, ohne die erst gar nicht gebaut werden darf."
◼︎ Scharfe Kritik an Bundesregierung
Scharfe Kritik richtet Metzger an den Bund: "Es passiert zu wenig. Und was jetzt passiert, kommt zu spät. Wer 400.000 Neubauwohnungen – darunter 100.000 neu gebaute Sozialwohnungen – im Wahlkampf verspricht und im Koalitionsvertrag festschreibt, der darf nicht erst ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl wach werden." Ohne eine deutlich stärkere staatliche Unterstützung würden weder der notwendige Neubau noch die Sanierungen von Wohnungen im erforderlichen Umfang gelingen.
Auch die Perspektive sei schlecht: Bis 2028 wolle die Bundesregierung Sozialwohnungen mit weniger als 22 Milliarden fördern. „Das reicht hinten und vorne nicht. Und es ist ein willkürlich gegriffener Zeitraum, um eine vermeintlich hohe Milliardensumme in den Raum zu stellen."
Der soziale Wohnungsbau, so Metzger weiter, werde bei dieser Bundesregierung auch weiter auf der Strecke bleiben. "Das müssen die Menschen den heimischen Bundestagsabgeordneten im Landkreis Lüneburg jetzt klarmachen. Nur wenn es massiven Druck vor Ort gibt, werden diese und die kommende Bundesregierung begreifen, wie ernst die Lage ist."
◼︎ Baubranche stürzt ab
Aktuell erlebe die Wohnungsbau-Branche "einen regelrechten Absturz". Viele Unternehmen hätten bereits Kapazitäten abbauen müssen. "Die Neubau-Zahlen gehen in den Keller. Mauerstein-Hersteller zum Beispiel schließen Werke. Die Entlassungswelle rollt: Der Bau verliert Beschäftigte – darunter gute Fachkräfte. Dabei ist das das Letzte, was sich Deutschland jetzt erlauben darf", so Katharina Metzger.
Die Verbandspräsidentin des Baustoff-Fachhandels warnt gemeinsam mit dem Pestel-Institut vor einer "Absturz-Spirale beim Wohnungsneubau". Die Situation sei fatal: "Wohnungsnot trifft auf Nicht-Wohnungsbau. Diese toxische Entwicklung muss dringend gestoppt werden."