Die Lebenshilfe Lüneburg-Harburg blickt mit Sorge auf die Inklusion
Hansestadt, 05.09.2012 - Bereits seit mehr als 45 Jahren beschäftigt die Lebenshilfe Frauen und Männer mit körperlichen, geistigen und psychischen Behinderungen. In fünf Werkstätten in Lüneburg, Winsen/Luhe und Tostedt arbeiten in beiden Landkreisen zurzeit 851 Menschen mit Behinderung. Nun droht die Arbeit ausgerechnet durch die per Gesetz vorgegebene Inklusion ins Wanken zu geraten.
Mit der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen fordern die Vereinten Nationen, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Das Land Niedersachsen hat deshalb gesetzlich fixiert, dass ab dem Schuljahr 2013/2014 alle Schulen in Niedersachsen inklusive Schulen sein müssen. In drei Schulen des Landkreises Lüneburg wird Inklusion bereits mit Beginn dieses Schuljahres praktiziert.
|| Inklusion geht zu schnell ||
Ernst-Albrecht von Moreau, Geschäftsführer der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg, geht dieser Schritt zu schnell. Er fordert deutlich mehr Zeit, um Inklusion wirklich sinnvoll umsetzen zu können. "Die Werkstätten dürfen nicht in Frage gestellt werden, sondern müssen weiter entwickelt werden", sagte er anlässlich eines Treffens mit Mitgliedern des SPD-Ortsvereins Lüneburg.
"Die Werkstätten sind eine gesellschaftlich großartige Errungenschaft, weil erkannt wurde, dass Arbeit für die Entwicklung der Persönlichkeit und von Fähigkeiten wichtig ist", erläutert von Moreau. Denn wer nicht arbeite, werde vom gesellschaftlichen Leben abgehängt. Es gehe um mehr, als nur Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen.
In ihren Werkstätten ermöglicht die Lebenshilfe Lüneburg-Harburg Menschen mit Handicap durch einen Arbeitsplatz Rehabilitation, Selbstbestimmung und Teilhabe an der Gesellschaft. "Die individuelle Leistungsfähigkeit der hier aufgenommenen Menschen", so von Moreau, "wird so entwickelt, dass sie entweder in den Werkstätten sinnvoll arbeiten können oder einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden."
|| Ohne Werkstätten wird es nicht gehen ||
Sein Problem: Eine konsequente Umsetzung der Konvention der Vereinten Nationen würde zur Folge haben, dass die Werkstätten eigentlich abgeschafft werden müssten. "Doch das ist völlig unrealistisch. Vielleicht gibt es in 30 oder 50 Jahren keine Werkstätten mehr. Aber noch kann auf sie nicht verzichtet werden“, mahnt von Moreau.
Zunächst müsse sich die Gesellschaft verändern, mehr Bereitschaft zur Inklusion aufbringen, "indem Menschen mit Behinderung aus Sondereinrichtungen herausgeholt werden und sie aktiv am Arbeitsleben beteiligt werden. Das gilt auch und in besonderem Maß für die Schwächsten." Doch das geschehe in Gesellschaft und Wirtschaft so gut wie noch gar nicht. "Und solange das so ist, wird es ohne Werkstätten nicht gehen", so von Moreau.
Den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt haben aktuell 26 Menschen mit Behinderung aus den Lebenshilfe-Werkstätten geschafft, die aber weiter als Werkstattbeschäftigte ambulant betreut werden, berichtet der Geschäftsführer der Lebenshilfe. Der Erfolg sei ein Ergebnis aus Qualifizierung, Unterstützung, Beratung, Integration, kurz QUBI.
Immer mehr Unternehmen und Verwaltungen, so von Moreau, beschäftigen inzwischen Menschen mit Behinderung. Ob für einen bestimmten Zeitraum oder dauerhaft, ob Einzelpersonen oder Gruppen, ob einfache oder schwierigere Tätigkeiten – vieles sei bei QUBI möglich. Immerhin haben auf diese Weise weitere 88 Frauen und Männer Stellen in Gruppen-Außenarbeitsplätzen in den Kreisen Lüneburg und Harburg gefunden.