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Die Grenze des Zumutbaren

Kann bezahlte Arbeit die Würde des Menschen verletzen? - Bundestagskandidaten beziehen Position 

Lüneburg, 14.09.2013 - Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren stark gesunken, Vollbeschäftigung gilt wieder als erreichbares Ziel. Doch der Preis für das neue deutsche Wirtschaftswunder ist hoch: Viele Beschäftigungsverhältnisse basieren auf Leiharbeit, Zeitarbeit, Werkverträgen oder 450-Euro-Jobs. Oft zu Arbeitsbedingungen, die den Beschäftigten ein angemessenes Auskommen verweigern und nicht immer in der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft stehen. In der fünften 100-Wörter-Fragerunde wollten wir von den Direktkandidaten des Wahlkreises Lüneburg und Lüchow-Dannenberg wissen, ob es für sie eine Grenze des Zumutbaren gibt.


LGheute: Ab welchem Stundenlohn sehen Sie die Würde des Menschen verletzt und was wollen Sie dagegen tun?

 

Eckhard Pols, CDU: "Lohnfindung ist grundsätzlich Aufgabe der Tarifparteien, Arbeitnehmervertretungen wie Arbeitgebervertretungen, nicht des Staates. Jeder, der in Vollzeit arbeitet, muss aber von seinem Verdienst am Leben teilhaben können. Es muss Lohnuntergrenzen, Mindestlöhne, geben. Diese müssen sich aber an regionalen und branchenspezifischen Gegebenheiten orientieren. Denn das Leben ist beispielsweise in München teurer als in Lüchow-Dannenberg. In München werden die geforderten 8,50 Euro nicht reichen, in Lüchow-Dannenberg vielleicht. Auch muss die Schwere der Arbeit, beispielsweise Dachdecker im Verhältnis zum Pförtner, Berücksichtigung finden. Ein Orientierungswert wird heute sicher in anderen Branchen bei 8,50 Euro liegen." 

 

Hiltrud Lotze, SPD: "Je höher der Wohlstand eines Landes, desto höher muss natürlich ein Mindestlohn sein. Ab wann sich ein Mensch ausgebeutet fühlt, ist unterschiedlich. Aber 5 Euro Stundenlohn passen nicht für das reiche Deutschland. Hier wird für mich die Schmerzgrenze weit überschritten. Mir erscheint die Würde dann verletzt, wenn Menschen trotz harter Vollzeitarbeit nicht mehr ihre eigene Existenz sichern können. Hungerlöhne durch Aufstockung zu subventionieren, ist deshalb würdelos für Arbeitnehmer und zudem ökonomischer Unfug. Durch den gesetzlichen Mindestlohn der SPD von 8,50 Euro werden in Deutschland circa 6,8 Millionen Menschen eindeutig mehr verdienen - und würdelose Arbeitsverhältnisse hoffentlich deutlich verringert."

 

Dr. Tobias Debuch, FDP: "Die Würde des Menschen im Sinne einer einzigartigen Seinsbestimmung, der Freiheit des Geistesausdrucks, ist gänzlich unabhängig vom Arbeitslohn. Spezifische Arbeiten könnten die Würde des Menschen verletzen, eine Entlohnung von Arbeit grundsätzlich nicht. Die angesprochene Freiheit, die dem Begriff der Würde immanent ist, wird beim Thema Arbeitslohn seit jeher am besten umgesetzt, wenn die jeweils Betroffenen - Arbeitnehmer/Gewerkschaften und Arbeitgeber - ihn aushandeln. Das FDP-Modell der Lohnuntergrenzen folgt diesen Idealen der Sozialen Marktwirtschaft. Unser Arbeitsmarktmodell setzt auf Tarifautonomie und flexible Tarifpartnerschaften von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Pauschale Lohnfestsetzung durch die Politik würde der differenzierten Arbeitsmarktlage und den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Deutschland nicht gerecht."

   

Julia Verlinden, Grüne: "Wer Vollzeit berufstätig ist, soll davon leben können und nicht zusätzlich von staatlicher Unterstützung abhängig sein. Deswegen brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Frauen bekommen im Durchschnitt weniger Geld als Männer für ihre Arbeit - unter anderem, weil typische Frauenberufe schlechter entlohnt werden als typische Männerberufe. Selbst bei vergleichbaren Tätigkeiten liegt die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bei durchschnittlich acht Prozent - deswegen will ich ein Entgeltgleichheitsgesetz. Leider sind die Hälfte aller neuen Arbeitsverträge befristetet: Die Menschen sind quasi permanent in der Probezeit und können kaum die nötige Sicherheit für ihre Lebensplanung gewinnen. Hier muss auch der öffentliche Sektor Vorbild sein."

 

Johanna Voß, Linke: "Wenn heute viele Beschäftigte mit Löhnen abgespeist werden, die nicht zum Leben reichen, verletzt das die Menschenwürde. Solche Dumpinglöhne ermöglichen auch später keine Rente, die nach 45 Beitragsjahren oberhalb der Höhe der Grundsicherung liegt. Das macht nach Berechnungen der Bundesregierung einen Mindestlohn in Höhe von rund 10 Euro pro Stunde notwendig, wie ihn die Linke fordert. Auch die Gewerkschaften wollen mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde einsteigen und ihn zügig auf 10 Euro erhöhen. Gute Arbeit heißt zudem, weg mit Leiharbeit, miesen Werkverträgen und Ketten-Befristungen sowie das Ende von Angst und Schikane durch Hartz IV."

 

Olaf Forberger, Piraten: "Für eine feste Anstellung soll der Mindestlohn bei 9,02 Euro liegen. Für Leiharbeiter und befristete Stellen sollen 9,77 Euro gelten. Ich bezeichne den Mindestlohn gern als Brückentechnologie. Das langfristige Ziel ist ein bedingungsloses Grundeinkommen, das ohne Bedingung, ohne Gegenleistung, ohne Antrag und ohne bürokratischen Aufwand ausbezahlt wird. Im Gegenzug entfallen Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung. Die meisten Menschen werden weiterhin arbeiten, möglicherweise unabhängiger. Es ist nun möglich, Kinder und ältere Menschen zu versorgen. Keine Angst: Die meisten Menschen wären weiterhin Steuernettoeinzahler. Die Höhe des Grundeinkommens ist eine politische Entscheidung: hohes Grundeinkommen bedingt hohe Steuersätze, ein niedriges Grundeinkommen ermöglicht tiefe Steuersätze."

 

Michael Recha, AfD: "Löhne stehen grundsätzlich im Zusammenhang mit dem Preisniveau einer Volkswirtschaft: wegen unterschiedlicher Lebenshaltungskosten kann Stundenlohn nicht pauschal als 'ausreichend' festgesetzt werden. Menschenunwürdige Ausbeutung findet weltweit statt! Staatliche Aufgaben: 1. Verantwortliche Unternehmer unterstützen durch globale Sozialstandards in Welthandelsabkommen. 2. Hiesige Klein- und mittelständische Unternehmen mit fairen Löhnen und Arbeitszeitmodellen entlasten. 3. Mindestlöhne gezielt in Branchen einsetzen, wo Sozialstandards umgangen werden, Beispiel Schlachthöfe mit Subunternehmer-Dumpinglöhnen für EU-Arbeitnehmer. Generell: Arbeitnehmerqualifikation erhöht Lohnniveau. Unternehmen mit Bedarf an verlässlichen Mitarbeitern zahlen auch attraktive Löhne. Je mehr Auswahl an Arbeitgebern ein Arbeitnehmer hat, umso höher der Lohn. Daher Monopole verhindern, Zeitarbeit limitieren."

 

Sonni Tonne, PBC: "Ich sehe die Würde des Menschen verletzt, wenn er nicht genügend Geld verdient, um gut davon leben zu können. Der Arbeitnehmer sollte sehen, dass sich sein Einsatz für die Firma lohnt und ausreichend - auch finanzielle - Anerkennung dafür bekommen. In diesem Sinne hatten wir schon bessere Zeiten, in der die Unternehmer mehr Verantwortung für ihre Mitarbeiter übernommen haben. Ich sehe oft, dass der Arbeitnehmer zusätzlich arbeiten muss, um ausreichend zum Leben zu haben. Ein Mindestlohn von 8,50 bis -10 Euro kann nur eine Übergangslösung sein. Wir müssen die Prioritäten 'in Verantwortung vor Gott' ändern, damit der Mensch in Würde arbeiten kann." 

 

 

Die vorangegangenen 100-Wörter-Themen:

Die Reihenfolge der Kandidaten entspricht ihrer Reihenfolge auf dem Stimmzettel zur Bundestagswahl 2013.

Erläuterung zu den Kurz-Bezeichnungen der Parteien: 
CDU: Christlich Demokratische Union Deutschlands
SPD: Sozialdemokratische Partei Deutschlands
FDP: Freie Demokratische Partei
Grüne: Bündnis 90/Die Grünen
Linke: Die Linke. Niedersachsen
Piraten: Piratenpartei Niedersachsen
AfD: Alternative für Deutschland
PBC: Partei Bibeltreuer Christen

 

Weitere Beiträge und Berichte zur Bundestagswahl 2013 gibt es hier.

 

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