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Aufgelesen: "Sie hat keine Allkompetenz"

Ex-Verfassungsgerichtspräsident kritisiert EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland 

14.11.2021 - Angriff ist die beste Verteidigung, heißt es häufig dann, wenn es gilt, aus einer misslichen Lage wieder herauszukommen. Nach diesem Motto verfährt die Europäische Union, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 Kritik an dem milliardenschweren Anleihe-Ankaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) geäußert hatte. Das führte zu Protest seitens der EU. Sie sieht ihre Kompetenzen beschnitten und leitete im Juni ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Beim früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier stößt das auf Kritik.

In einem Beitrag mit der Zeitschrift "Tichys Einblick" unterstützt Papier die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Sie gehe einher mit anderen Entscheidungen des Gerichts, in denen es immer wieder betont habe, dass das Demokratieprinzip verletzt werde, wenn Deutschland "einer unlimitierten, unüberschaubaren und nicht eingegrenzten Haftung ausgesetzt würde", wie Papier in dem Beitrag zitiert wird. Und weiter: "Diese Haftung für fremde und nicht begrenzte Schulden würde das Budgetrecht des Bundestags in seinen Grundfesten treffen."

Genau diese Gefahr aber hatte das Bundesverfassungsgericht in dem Anleihe-Ankaufprogramm erkannt. In ihrem Urteil kamen die Richter in Karlsruhe zum einem zu dem Schluss, dass die EZB damit ihr Mandat für die Geldpolitik überspannt habe. Der Bundesbank wurde es deshalb untersagt, weiterhin an der Umsetzung des EZB-Aufkaufprogramms mitzuwirken, sofern die EZB nicht nachvollziehbar darlege, dass das Programm verhältnismäßig sei. Und: Die Richter befanden auch, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH), der das Anleihekaufprogramm zuvor gebilligt und keine Mandatsüberschreitung festgestellt hatte, das Vorgehen und insbesondere die Verhältnismäßigkeit der geldpolitischen Mittel nicht ausreichend geprüft habe.

"Erstmals in seiner Geschichte stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt sind und daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten können", sagte der damalige Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle in der Urteilsbegründung –  eine Ohrfeige für die EU, die Deutschland nun mit einem Vertragsverletzungsverfahren zum Schweigen bringen will. 

Papier rät der EU, den Streit nicht auf die Spitze zu treiben, wie es in dem Beitrag weiter heißt. Das Verfahren werde "zu einer Eskalation in diesem Spannungsverhältnis führen". Denn im EU-Vertrag sei ausdrücklich festgelegt, dass die Union die nationale Identität und die grundlegenden verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten zu achten habe. Die EU sei eben kein Staat, kein Bundesstaat, sondern nach ihrer eigenen Verfassungsstruktur ein Staatenverbund besonderer Art, ein Verbund rechtsstaatlich und demokratisch verfasster Mitgliedstaaten. "Sie hat deshalb keine Allkompetenz. Die EU und ihre Organe können sich nicht immer weitere Kompetenzen selbst zubilligen oder im Sinne einer staatlichen Allzuständigkeit selbst einräumen. Doch diese Gefahr besteht", unterstreicht der Staatsrechtler.

 

 

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