Nicht jeder "Narrativ"-Versuch der öffentlich-rechtlichen Medien gelingt
14.07.2025 - Kennen Sie noch den Satz "Wir müssen die Lufthoheit über den Kinderbetten wieder erobern"? Ist schon ein bisschen her, er fiel 2002, und zwar von Olaf Scholz, damals noch SPD-Generalsekretär. Anlass war die geplante Ganztagsbetreuung in den Schulen und damit die Frage über die Erziehungshoheit über die Jüngsten der Gesellschaft: Liegt sie bei den Eltern oder bei der Politik? Zugleich aber ging es darum, wie die gesellschaftliche Debatte darüber politisch gewonnen werden kann. Welche Argumentationslinie setzt sich durch, welche Erzählung greift? Das gilt auch heute noch, auch wenn statt "Lufthoheit" heute lieber von "Narrativen" die Rede ist – Politiker sind ja lernfähig, wenn es um die Vernebelung der wirklichen Absichten geht. Journalisten aber auch, wie heute im "Deutschlandfunk" zu erleben war.
Kaum war die Diskussionsrunde eröffnet, zu der der Deutschlandfunk heute in seiner Sendung "Kontrovers" zum Thema "Verfassungsgericht – Wie groß ist der Schaden nach der gescheiterten Richterwahl?" um kurz nach 10 Uhr eingeladen hatte, ging es auch gleich los. Denn wie immer in diesen und ähnlichen Diskussionsrunden geht es darum, möglichst frühzeitig eine Erzählung, eine Interpretation oder eine Deutung, wie auch immer man möchte, zu liefern – oder eben ein "Narrativ", wie inzwischen mit dem selbstermächtigenden Duktus objektivierenden Tatbestands regelmäßig zu hören ist.
Den ersten Beitrag dazu lieferte auch prompt Stephan Detjen, langjähriger Chefkorrespondent und Leiter des Hauptstadstudios des staatlichen "Deutschlandfunks", der vom Moderator der Sendung aufgefordert wurde, eine erste "Einordnung" der laufenden Debatte abzugeben. Dies nutzte Dethjen, um gleich zwei Mal das Narrativ der "Kampagne rechter Kreise" gegen die von der SPD favorisierte Richterin-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf aufzubauen. Hier der Original-Wortlaut. Es lohnt, ihn und die Replik des stellvertretenden Chefredakteurs der "Welt", Robin Alexander, trotz der Länge ihrer Wortlaute genau zu lesen:
Stephan Dethjen:
"Naja, in der Tat, Sie haben es richtig gesagt, das ist eine Entwicklung, die hat sich über Tage oder Wochen aufgebaut mit einer – ich glaube, das kann und muss man so sagen – Kampagne, die sich gegen die von der SPD aufgestellten Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. Wenn man die ganze Geschichte erzählen will, dann muss man noch weiter zurückgehen. Dann muss man in den Blick nehmen, dass da ja drei Richterstellen zu besetzen waren, von denen eine seit November letzten Jahres im Bundesverfassungsgericht vakant war – da hatten CDU/CSU einen Kandidaten aufgestellt, Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht, der ist im Vorfeld der ersten Sondierungen bereits abgelehnt worden, insbesondere von den Grünen. Das war sozusagen der ganze Vorlauf des Verfahrens und hat sicherlich dazu beigeführt, dass sich die Geschichte auch politisch aufgeheizt hat. Dann kamen die kampagnenartigen Vorwürfe gegen die SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf, die ja nicht nur aus dem parlamentarisch-politischen Raum kamen, sondern aus einem breiten Spektrum von katholisch-rechter Publizistik bis in bürgerliche Zeitungen hinein, die dann dazu geführt haben, dass jedenfalls am Donnerstagabend, Freitagmorgen der CDU/CSU-Führung, der Fraktionsführung klar geworden ist, dass man das nicht halten konnte, was man eigentlich mit dem Koalitionspartner SPD vereinbart hatte, nämlich dieses Paket von drei Richtern gemeinsam abzustimmen, gemeinsam trotz Vorbehalten in der Unionsfraktion, alle drei Kandidaten gemeinsam zu wählen. Selbst der Bundeskanzler hatte sich ja kurz vor der Abstimmung noch eingeschaltet, und dazu aufgerufen, diesen Kompromiss durchzubringen und alle drei Richterinnen und den einen vorgeschlagenen Richter zu wählen. Es war am Freitag klar, man hatte die Stimmung in der eigenen Fraktion, in der Unions-Fraktion, unterschätzt. Man kam zur Einschätzung, dass es nicht genügend Stimmen aus der Union geben würde, dass es diese Wahl von Frau Brosius-Gersdorf zu scheitern drohte und dass damit dann die ganze Wahl abgesagt wird."
Ist es Ihnen aufgefallen? Gleich zwei Mal lässt der Deutschlandfunk-Journalist Dethjen in seinem Beitrag nahezu nebenbei den Begriff fallen, mit dem er sein "Narrativ" füttert: Kampagne. Sein Narrativ: alles eine Kampagne rechter Kreise.
Robin Alexander, ein erfahrener, aber offenkundig belesenerer Journalist der freien Presse, geht Dethjen darauf direkt an:
"Ich wundere mich, wie wir in diese Diskussion einsteigen, weil Kollege Dethjen hat mit dem Wort Kampagne ja schon eine Stoßrichtung vorgegeben, eine sehr wertende Stoßrichtung. Und da möchte ich doch mal in die Details gehen. Bekannt geworden ist dieser Vorschlag durch eine Recherche der FAZ, eine Zeitung, die man ja nicht am rechten Rand verortet. Dann gab es einen Meinungsartiekle in der "Welt am Sonntag" – ob der rechter Rand ist, das kann ich nicht bewerten, ich hab' ihn nämlich selber geschrieben ... Dann gab es eine Äußerung von Ulla Schmidt. Ulla Schmidt ist die Chefin der "Lebenshilfe", also der Organisation, die sich für die Rechte behinderter Menschen einsetzt, und eine frühere sozialdemokratische Ministerin, die gesagt hat: Die Äußerungen der in Rede stehenden Juristin zur Würde des ungeborenen Lebens würden Implikationen haben für behinderte Menschen. Dann war es Frau Stetter-Karp, der Vorsitzenden des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, also der Laien-Organisation der katholischen Kirche, die neulich noch groß in den Medien war, als sie Einspruch erhob, dass die Union mit der AfD abstimmt. Und schließlich war es der Sprecher, der Lobbyist der deutschen Bischofskonferenz – also alles Institutionen, die in der Mitte der Gesellschaft stehen. Dass nebendran rechts im Internet heftig was läuft, daran müssen wir uns gewöhnen. Das ist so. Aber die Idee, hier wäre etwas ganz rechts gelaufen und wir hätten dergleichen wie erlebt – das finde ich schon seltsam."
Die Diskussion in der Deutschlandfunk-Runde ging noch mehr als eine Stunde weiter, auch mit weiteren kontroversen Beiträgen von Dethjen und Alexander. Es lohnt durchaus, die gesamte Sendung nachzuhören, hier der Link dorthin.
Die fast doppelt so starke CDU lässt bereitwillig dem Juniorpartner SPD den Vorrang und begnügt sich selbst mit einem Vorschlag für den eher unbedeutenden ersten Senat des BVerfG, während die SPD zwei Aktivistinnen in den viel wichtigeren zweiten Senat installiert (der zweite Senat ist u.a. für Parteienverbote zuständig).
Günter Spinner (unpolitisch, aktuell Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht) wurde von allen aktuellen Verfassungsrichtern empfohlen. Diesen Kandidaten hat daraufhin die CDU zur Wahl vorgeschlagen.
Die Kandidaten der 16% Partei SPD sind dagegen alles andere als unpolitisch:
Klimahoaxaktivistin Kaufhold (arbeitet u.a. unter der Schirmherrschaft von SPD Bundespräsident Steinmeier).
Die Impfpflicht- und Abtreibungsbefürworterin Brosius-Gersdorf hat sich mehrfach für ein AfD- Verbot ausgesprochen.
Die SPD schanzt möglichst vielen politisch Gleichgesinnten wichtige Posten zu, da die Partei in der Wählergunst im Sinkflug ist.