Studenten fordern Erneuerung des Gesundheitswesens

Hansestadt, 15.10.2011 - Erstmals haben junge Studenten einer deutschen Universität massiv eine schnelle und grundlegende Erneuerung des Gesundheitswesens in Deutschland gefordert. Rund 1.800 Erstsemestler der Leuphana Universität Lüneburg wandten sich gestern gegen die weitere Verschleppung dringend benötigter Reformen durch unüberbrückbare Interessenpolitik.

Zuvor hatten die Studenten im Rahmen der Leuphana Startwoche, dem traditionellen Auftakt des Wintersemesters in Lüneburg, fünf Tage lang mögliche Grundzüge einer umfassenden Gesundheitsreform entwickelt und mit rund 100 Experten aus Gesundheit, Politik, Selbstverwaltung, Wissenschaft und Krankenversicherungen diskutiert.

Die Vorschläge wurden gestern von einer prominenten Jury prämiert. Am besten schnitt dabei die Gruppe “Deutschland Versicherung" ab. Sie entwickelte das Modell einer gesetzlichen Grundversorgung für alle mit der Abschaffung privater Krankenkassen als Volldienstleister. Auch die Studenten selbst sprachen sich bei einer Publikumsentscheidung mit großer Mehrheit für diesen Vorschlag aus.

Rund 120 Gruppen mit jeweils bis zu 15 Mitgliedern hatten sich an der Entwicklung eines neuen, finanzierbaren und gerechten Gesundheitssystems beteiligt. Der Vorsitzende der Jury, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände Peter Clever, würdigte die Vorschläge als "enorm gute Arbeit" und bescheinigte den Erstsemestlern ein hohes Maß an "Professionalität." Die Ergebnisse der Startwoche haben die Erwartungen mehr als übertroffen, lautete das einhellige Urteil der Jury. Zur Jury gehörten neben Peter Clever die frühere stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, Axel Heinemann, geschäftsführender Direktor der Boston Consulting Group, Jürgen Kluge, Vorstandsvorsitzender der Haniel-Holding, und Raimund Becker, Mitglied des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit.

Allen Reformvorschlägen liegt eine übereinstimmende Auslegung auf eine solidarische Grundversorgung, Transparenz bei Leistungserbringung und Abrechnung, Qualitätssicherung und Nutzung neuer Medien zugrunde, etwa die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte oder die verstärkte Nutzung des Internets bei der Betreuung erkrankter Menschen.

Kernpunkt des von der Jury prämierten Vorschlags ist eine solidarische Grundsicherung für alle in Deutschland lebenden Menschen. Zusatzleistungen können sowohl bei den gesetzlichen Krankenkassen als auch bei privaten Anbietern abgeschlossen werden. Der Leistungsumfang soll im Vergleich zu heute in weiten Teilen erhalten bleiben. Finanziert werden soll das System von den Versicherten, den Arbeitgebern und durch öffentliche Zuschüsse. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen sich dabei die Beiträge zu gleichen Teilen teilen. Sie sind an das Bruttoeinkommen gekoppelt.

Für Holm Keller, den hauptberuflichen Vizepräsidenten der Leuphana Universität Lüneburg und Organisator der Leuphana Startwoche, hat das hypothetische Szenario der Startwoche einen "sehr realistischen Bezug". Mit steigendem Lebensalter und den Fortschritten in der Medizin nimmt der Anteil der Menschen mit Mehrfacherkrankungen zu. Deren Behandlung verursacht besonders in der letzten Phase ihres Lebens hohe Kosten. Gleichzeitig nimmt die Zahl der jungen Menschen ab, die das Solidarsystem der Kassen finanzieren können. Außerdem sorgt die Veränderung des Arbeitsmarktes dafür, dass immer mehr Arbeitnehmer nur die niedrigsten Beiträge zahlen. Im Lüneburger Innovations-Inkubator, einem von der Europäischen Union geförderten Projekt der Leuphana und des Landes Niedersachsen, ist das Thema Gesundheit ein Schwerpunkt der Forschungsarbeit.

Das Siegerteam wird seine Vorschläge im Frühsommer des kommenden Jahres Abgeordneten des Europaparlaments in der niedersächsischen Landesvertretung in Brüssel präsentieren.