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"Mehr als ungewöhnlich"

Ostpreußisches Landesmuseum erhält spektakulären Nachlass an historischen Gemälden und Möbeln

Lüneburg, 09.10.2014 - Zahlreiche Porträtgemälde deutschbaltischer Familien über acht Generationen, Mobiliar aus Rokoko, Empire, Biedermeier und Historismus, edle Tafelkultur aus Porzellan und Silber, persönliche Korrespondenz und Akten aus mehreren Jahrhunderten, Berge an Fotografien - das Ostpreußische Landesmuseum konnte durch großes Glück und Unterstützung der Thure P. und Dr. Andrea von Wahl Stiftung einen spektakulären Bestand der deutschbaltischen Familien von Münnich und von Nolcken für die Wissenschaft und Öffentlichkeit retten. Der Zugang erfolgte äußerst kurzfristig, da Zwangsräumung und -versteigerung drohten.

Die Deutschbalten als bedeutende, deutschsprachige Minderheit prägten über Jahrhunderte das politische, kulturelle und gesellschaftliche Leben im heutigen Estland und Lettland. Auch in russischer Zeit nach der Eroberung durch Zar Peter den Großen blieben ihre Privilegien erhalten, vielfach errangen sie in russischen Diensten höchste Ämter. Nach dem Ersten Weltkrieg mit Gründung der unabhängigen Republiken wurden die umfangreichen Ländereien der großen Güter mit prächtigen Herrensitzen enteignet. Schon vor der Umsiedlung der Deutschbalten im Herbst 1939 nach dem Hitler-Stalin-Pakt hatten daher zahlreiche Familien ihre oftmals jahrhundertealte Heimat verlassen. So auch in diesem Fall.

Die Familie von Nolcken, Eigentümer und Erbauer des auch heute noch beeindruckenden Schlosses Allatzkiwwi (heute: Alatskivi), wanderte 1920 nach Deutschland aus und ließ sich in Schloss Pöring in Pitzling (Landsberg am Lech) nieder. Dort wurde das mitgebrachte Inventar von der Familie bewahrt und zusammengehalten, bis nun nach dem Tod einer Nachfahrin dieser einzigartige Bestand auseinandergerissen und verkauft werden sollte.

Allatzkiwwi wurde 1880-86 im damals russischen Gouvernement Livland (heute Estland) von Arved Freiherr von Nolcken (1845-1909) nach dem Vorbild des schottischen Schlosses Balmoral im neogotischen Stil erbaut und spiegelt somit die Kultureinflüsse wieder, die Deutschbalten von ihren Reisen in Europa in die damals russischen Ostseeprovinzen mitnahmen. Das unweit von Tartu (Dorpat) und zugleich nahe am Peipussee liegende markante Schloss ist restauriert worden und wird heute von einer Stiftung als Hotel und Museum genutzt.

"Es ist mehr als ungewöhnlich, dass sich über nahezu 100 Jahre ein solcher Nachlass erhalten hat. Das Bemerkenswerte und zugleich wissenschaftlich Einmalige ist der Umstand, dass er sich nachweisbar zuvor in großen Teilen auf dem Familiensitz in Allatzkiwwi befand. Somit handelt es sich um einen der ganz wenigen, geschlossen aus dem Baltikum überführten Nachlässe", teilte das Landesmuseum mit.

 

Mehr als 200 Gemälde und Möbel sowie zahlreiche Alltagsgegenstände wie Tafelsilber und persönliche Erinnerungsstücke sind dem Ostpreußischen Landesmuseum nun für seine Deutschbaltische Abteilung und der damit verbundenen länderübergreifenden Kulturarbeit übereignet worden. Hierzu ist eine intensive Kooperation mit Estland, der Stadt Tartu (Partnerstadt von Lüneburg), den dortigen Museen und Archiven sowie natürlich den heutigen Nutzern von Schloss Alatskivi vorgesehen, das auch über ein Museum verfügt. Zunächst ist eine umfangreiche Restaurierung des teilweise stark beschädigten Kulturguts vonnöten. Der archivalische Nachlass wird am Herder-Institut in Marburg bearbeitet, dessen Dokumentesammlung bereits mehr als 1.500 laufende Regalmeter Baltica umfasst.